Zeiten des Verlangens
aus ihr heraus.
»Was ist mit ihm?«, fragte Carly.
»Er ist der Typ.«
Carly zog einen Stuhl an den Tisch und ließ sich mit großen Augen darauffallen.
»Du machst Witze.«
»Nein, mach ich nicht. Kennst du ihn denn?«
Derek hielt sich in ihrer Nähe, auch er war offenkundig höchst interessiert an Carlys Antwort. Carly griff nach einem W- Magazin aus dem Stapel und blätterte hastig durc h die letzten Seiten. Als sie nicht fand, was sie suchte, griff sie sich ein anderes. Sie betrachtete kurz eine Seite, dann schob sie Regina die Zeitschrift zu. Die Seite zeigte eine Schwarzweiß-Aufnahme einer grazilen Frau, die sich vornüberbeugte, sodass man den Bogen ihrer Wirbel in einem rückenfreien Kleid sah. Ihre schlanken ausgestreckten Hände griffen nach den Füßen und berührten beinahe die eleganten Stiletto-Pumps.
»Wer ist das?«, fragte Regina und fürchtete merkwürdiger Weise, Carly könnte »seine Freundin« sagen. Aber warum sollte sie das kümmern? Stattdessen deutete Carly nur auf das Kleingedruckte am unteren Seitenrand: Fotografie: Sebastian Barnes.
Regina brauchte einen Augenblick, um zu verstehen. »Lass mich mal sehen.« Sie nahm Carly die Zeitschrift ab und blätterte durch die nächsten Seiten. Die Fotografie, die Carly ihr gezeigt hatte, war nur die erste einer ganzen Fotoserie von Sebastian.
»Er ist ziemlich angesagt«, erklärte Carly. »Als seine ersten Bilder in Magazinen erschienen, hielt man ihn für einen Dilettanten – wegen seinem Geld, verstehst du? Aber mit solchen Fotos hat er die Kritiker zum Schweigen gebracht.«
Regina ließ das Magazin sinken. »Schön für ihn. Aber das gibt ihm immer noch nicht das Recht, die Bibliothek als seinen persönlichen Spielplatz anzusehen.«
Carly seufzte. »Mach dich locker, Regina. Das ist New York! Sieh doch mal das Spannende daran!«
»Oder an so einem Hintern«, witzelte Derek.
Die beiden lachten, aber Regina stocherte nur in ihren Spaghetti herum. Da sie es leid war, das Opfer von Carlys und Dereks spöttischen Bemerkungen zu sein, fragte sie schließlich: »Und was soll ich eurer Meinung nach tun?«
Carly legte ihr die Hand auf den Arm. »Gönn dir ein bisschen Vergnügen. Weißt du, wie das geht, Regina?«
8
Am Morgen lag ein Stapel Romane auf ihrem Tisch, alles Neuerscheinungen, alle mit guten Rezensionen. Zwei davon hatte sie bereits gelesen. Oben auf dem Stapel klebte ein blaues Post-it: Unsere Unterhaltung über Literatur gestern hat mir Spaß gemacht, obwohl sie ein vorschnelles Ende nahm. Ich würde sie gerne heute bei einem Abendessen fortführen. Ich hole Sie um sechs Uhr vor der Bibliothek ab.
Regina blickte sich hektisch um, als hätte man sie bei einer Missetat ertappt. Dann stopfte sie den Zettel in ihre Handtasche.
»Was geht hier vor, Ms. Finch? Bezahlen sie dich neuerdings in Büchern?«, wollte Alex wissen.
»Nein«, sagte Regina und schob die Bücher zur Seite. »Ich lese für den Literaturpreis.«
»Ach, noch etwas. So ein Typ hat das hier für dich abgegeben.« Alex reichte ihr einen großen Bildband mit einer leicht bekleideten Brünetten auf dem Cover. Sie hatte einen kurzen Pony und erinnerte Regina vom Stil her an die Burlesque-Tänzerin. Das Buch hieß Bettie Page: Eine Geschichte in Fotografien. Der Name kam ihr bekannt vor.
Sie drehte es um. Es war kein Buch aus der Bibliothek.
»Aber – was soll das?«, fragte Regina.
Alex zuckte die Schultern. »Ich dachte, du hättest dich zu einer kleinen Recherche inspirieren lassen.«
Und dann erinnerte sich Regina wieder, dass Alex ihre Frisur als »Betty-Page-Schnitt« bezeichnet hatte. Sie blätterte in dem Buch herum. Die Fotografien waren alle in Schwarzw-Weiß und zeigten die auffällige Brünette unterschiedlich weit entkleidet, manche waren so bizarr und anzüglich, dass es einem die Schamesröte ins Gesicht trieb. Ein Foto in der Mitte des Buches war mit einem kleinen weißen Umschlag eingemerkt. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Bettie Page auf der Rückenlehne einer ganz gewöhnlichen Couch. Das Haar fiel ihr in sanften schwarzen Wellen auf die Schultern, und ihre Arme steckten in ellbogenlangen schwarzen Handschuhen. Sie trug einen schwarzen Büstenhalter, Strümpfe bis zu den Oberschenkeln mit Strumpfhaltern und High Heels, die mindestens acht Zentimeter hoch sein mussten.
Regina öffnete das Kuvert und zog eine kleine weiße Karte heraus, von der Art, wie sie normalerweise an Blumensträußen steckten. In der gleichen säuberlichen
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