Zeiten des Verlangens
Bücher zu holen, dann öffnete sie den Reißverschluss des schwarzen Kleidersacks. Wie erwartet enthielt er die Kleider, die sie im Four Seasons gelassen hatte. Gerade, als die Erinnerung der letzten Nacht zu verblassen begann, tauchten Rock und Bluse, die sie wie eine alte Haut abgestreift hatte, wieder auf wie Aschenputtels Schuh und bewiesen, dass alles wirklich geschehen war.
Sie stopfte die Kleider unter ihren Tisch, öffnete das goldene Kuvert und zog eine schwarze Karte aus festem Papier heraus. Darauf stand in goldener Schrift:
Wir laden Sie ein zur Vernissage der Ausstellung Beginnings mit Fotografien von Luc Carle,
Joanna Lunde und Sebastian Barnes.
Galerie Manning-Deere, 42 Greene Street, 18.00 Uhr
Die Einladung war für diesen Abend. Sebastian wollte sie wiedersehen, das war alles, woran sie denken konnte.
Allerdings erfüllte sie die Vorstellung, wirklich zu dieser Vernissage zu gehen, mit Nervosität. Aber sie wusste, dass sie sich einen Ruck geben musste, wenn sie nicht den Rest ihrer Zeit in New York in ihrem winzigen WG -Zimmer hocken wollte, während die anderen ihr Leben genossen.
»Regina, warum gehen Sie nicht ans Telefon? Ich versuche seit fünf Minuten, Sie zu erreichen.«
Regina sah auf. Sloan stand vor ihrem Schalter. »Entschuldigung – ich habe es nicht klingeln gehört.«
»Was haben Sie da?« Sloan hatte die Einladung in Reginas Hand bemerkt.
»Das ist nur … ich weiß nicht. Die Karte lag auf meinem Tisch.«
Sloan nahm ihr die Karte ab, und ein kleines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. »Sie muss falsch abgegeben worden sein«, erklärte sie und schob sie sich unter den Arm. Dann sah sie Regina an, als wäre sie ihr noch nie zuvor begegnet.
❊ ❊ ❊
Regina kam in ihre Wohnung, beladen mit Büchern, die sie noch für den Literaturpreis lesen musste. Sie schob die Wohnungstür mit dem Fuß zu und horchte auf. Aus Carlys Zimmer drangen seltsame Geräusche. Na prima , dachte Regina. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist lauter Sex aus Carlys Zimmer die ganze Nacht lang .
Aber als sie in die Küche ging, bemerkte sie, dass es diesmal kein Lustgestöhne war.
Carly schluchzte.
Regina stellte ihre Taschen in ihr Zimmer, ging zurück ins Wohnzimmer und stellte sich vor Carlys Tür. Dann klopfte sie behutsam an.
»Alles in Ordnung, Carly?«
Keine Antwort, nur noch mehr Schluchzen.
»Carly, darf ich reinkommen?«
Sie wartete einen Augenblick, dann hörte sie, wie jemand zur Tür schlurfte.
Carly öffnete die Tür, ihr Gesicht war tränenüberströmt und aufgequollenen.
»Was ist passiert? Ist alles okay?«, fragte Regina.
»Rob hat Schluss gemacht«, brachte Carly hervor und fing erneut an zu schluchzen.
»Wer ist Rob?«, fragte Regina. Sie hatte es für eine harmlose Frage gehalten, aber jetzt weinte Carly noch mehr.
»Mein Freund. «
»Und was ist mit Derek?«
»Derek? Derek war nur eine Art Lückenbüßer, bis Rob endlich bereit gewesen wäre, sich zu binden. Also wirklich, Regina – du hast doch nicht geglaubt, das mit Derek wäre was Ernstes, oder?«
Es klang immer ziemlich ernst, wenn ihr mich nachts geweckt habt , dachte Regina.
»Ich sag dir, Regina – es tut mir richtig körperlich weh. Es fühlt sich an, als würde ich sterben«, verkündete Carly dramatisch. »Ich liebe ihn. Liebe ihn . Warst du jemals verliebt?«
Regina schüttelte den Kopf.
»Dein Glück. Diese Hölle wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind.« Und dann, zu Reginas höchstem Erstaunen, warf sich Carly in ihre Arme, und ihre dünne Gestalt zitterte vor Schluchzen.
»Das wird schon wieder«, tröstete Regina und tätschelte ihr den Kopf.
Und dann wanderten ihre Gedanken zurück zu der Einladung zur Fotoausstellung. Sie kam sich mies vor, in diesem Moment daran zu denken, wo Carly so aufgelöst war, aber sie konnte es nicht ändern. Sie wusste nicht, was sie von dieser Einladung halten sollte, oder davon, dass Sloan behauptete, sie sei falsch abgegeben worden. Den ganzen Tag über hatte sie darauf gebrannt, die Sache mit Carly zu besprechen. Aber das konnte sie nun fürs Erste vergessen. Das Drama, das sich in ihrer Einbildung abspielte, war nicht so wichtig wie der sehr reale Liebeskummer ihrer Mitbewohnerin.
Doch da sagte Carly: »Vermassel bloß nicht diese Sache mit Sebastian!«
Überrascht sah Regina sie an. »Warum sagt du das?«
»Weil ich es vermasselt habe und ich dir ersparen will, dass es dir so ergeht wie mir. Hat er dich angerufen?«
»Nein.«
»Hmm. Das
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