Zeiten des Verlangens
du wirst dich erholen«, sagte sie und nahm das Handtuch vom Haken an ihrer Schranktür. »Ich gehe jetzt duschen«, erklärte sie. »Wenn ich zurückkomme, möchte ich, dass du nicht mehr hier bist.« Sie gab ihm ihr iPhone, warf sich das Handtuch um die Schulter und ging hinaus.
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»Du hast mir gefehlt, Finch. Die gute alte Ausleihe ist einfach nicht dasselbe ohne dich und deine erfrischende technische Unbedarftheit«, erklärte Alex.
»Sehr freundlich … glaube ich«, sagte Regina.
Sie standen im Foyer, wohin man die gesamte Belegschaft beordert hatte, um die Literaturpreisverleihung der Young Lions durchzugehen. Einzig Margaret fehlte. Sie hatte Regina schon erzählt, dass sie nicht die Absicht hatte, der Feier beizuwohnen. »Nach halb acht gehe ich nicht mehr aus dem Haus«, hatte sie gemeint. »Und die Gala hat keinen Schwung mehr, seit wir Mrs. Astor verloren haben.«
»Und hier zwischen den Balustraden wird der Tisch für die Anwerbung neuer Mitglieder stehen«, erklärte Sloan. Sie trug ein marineblaues Leinenkleid, in der Taille geschnürt, dazu Perlenschmuck. Ihr Haar fiel offen auf ihre Schultern, und nie hatte sie Respekt einflößender und schöner gewirkt als vor der Kulisse des großen Foyers. Regina stellte sie sich nackt und in Fesseln vor, und Sebastians Hand schlug auf ihren entblößten Hintern …
»Regina, langweile ich Sie etwa?«, fragte Sloan, die Hände in die Hüften gestemmt. Regina bemerkte, dass alle sie ansahen.
»Was? Oh, tut mir leid. Ich habe den letzten Teil nicht gehört.«
»Ich sagte, dass Sie und Alex den Stand für die neuen Mitglieder besetzten. Ich weiß ja, wie wählerisch Sie bei Ihren Aufgaben sind, Regina, aber ich möchte Sie – und alle anderen hier – daran erinnern, dass die Gewinnung neuer Mitglieder eines der obersten Ziele dieser Veranstaltung ist. Geld, Geld, Geld! Leute, nur die Liebe zu Büchern allein wird uns nicht durch diese Finanzkrise bringen.«
Als ob du irgendetwas von der Liebe zu Büchern verstehen würdest, dachte Regina.
Und dann sah sie das tätowierte Mädchen vom Kurierdienst durch den Eingang kommen.
O nein , dachte Regina. Sie wandte sich ab, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Vielleicht würde das Mädchen die heutige Lieferung ja am Rückgabeschalter hinterlegen. Vielleicht konnte einer der Praktikanten für sie unterschreiben.
Sie verbarg das Gesicht hinter der Hand, aber Alex tippte ihr auf die Schulter.
»Ich glaube, du bekommst Besuch«, kommentierte er.
»Pst«, zischte sie. Aber er schnippte mit den Fingern und winkte das Kuriermädchen zu ihnen herüber.
Sloan hörte mitten im Satz auf zu reden, funkelte sie an und fragte: »Was machen Sie da?«
»Oh, hi – da sind Sie ja. Heute machen Sie es mir ja einfach«, freute sich die junge Frau und kam auf Regina zu.
Regina spürte, wie sich alle zwanzig anwesenden Angestellten – plus einer Handvoll Komiteemitglieder – zu ihr umdrehten, als ihr die junge Frau ein Kuvert übergab.
Vor Entsetzen konnte Regina kaum den Stift halten, um auf dem Klemmbrett zu unterschreiben.
»Gibt wohl heute nichts zurückzubringen, oder?«, kommentierte das Mädchen vom Kurierdienst.
Regina schüttelte den Kopf und wünschte, Sloan würde weitersprechen, anstatt sie anzustarren und die ganze Sache zu einem Spektakel zu machen.
»Alles klar. Machen Sie’s gut.« Regina war sich nicht sicher, aber sie hatte den Eindruck, die junge Frau hätte Alex einen flirtenden Blick zugeworfen. Sie fragte sich, ob er irgendwann doch den Mut aufgebracht hatte, sie anzusprechen.
Regina steckte das Kuvert unter den Arm. Sie hatte Angst, Sloan würde sie zwingen, es zu öffnen, so wie eine strenge Lehrerin, die ein Exempel gegen Störer im Unterricht statuieren wollte. Glücklicherweise warf sie Regina nur einen vernichtenden Blick zu.
»Mit dir ist es wirklich nie langweilig, Finch«, kommentierte Alex.
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Regina schloss sich in einer Toilettenkabine ein und lehnte sich gegen die Tür. Bevor sie das Kuvert öffnen konnte, hö rte sie noch jemand anderen hereinkommen. Also drückte sie die Spülung, um das Aufreißen des Kuverts zu übertönen.
Ich möchte Dich treffen. Bitte komm um sechs in die Barnes Collection. Ich nehme an, Du weißt noch, wo sie sich befindet?
– S.
Regina riss den Zettel in kleine Stücke und spülte ihn die Toilette hinunter.
Verdammt.
Sie hatte sieben Stunden Zeit, diese Nachricht zu vergessen. Um sechs, sagte sie sich, werde ich nicht
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