Zeitenlos
mir lag nichts daran, die Stimmung kaputt zu machen. Also ergriff ich seine Hand und ließ mich auf die Tanzfläche führen. Ich tanzte zwar gerne, war aber nervös, denn meine neuen Schuhe drückten etwas. Glücklicherweise spielte die Band gerade langsame Stücke, und als er mich in die Arme nahm, hatte ich die schmerzenden Zehen vergessen. Ein Lied nach dem anderen kam und ging, ohne dass ich auch nur einmal an meine Füße dachte.
Um Viertel vor zwölf führte er mich nach draußen, und wir setzten uns zu einigen anderen Paaren auf eine Bank. Es war eine kalte Nacht und ich machte mir Sorgen, ob Wes warm genug angezogen war, doch er beruhigte mich.
»Mir wäre es trotzdem lieber, wenn wir wieder reingingen«, sagte ich.
»Sophie, mir geht es gut. Außerdem bleiben wir nicht mehr lange hier.«
Ich versuchte es mit einer anderen Masche. »Und Mitternacht? Woher wissen wir, wann es Zeit für den Kuss ist?«
»Mir war nicht klar, dass wir eine Zeitvorgabe brauchen, um uns zu küssen?«
»Hör schon auf! Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte ich.
»Vertrau mir, Sophie. Du wirst genau merken, wann es so weit ist.« Es war klar, dass er nicht wieder hineingehen wollte, also blieb ich halb schmollend, halb zufrieden sitzen. Schmollend, weil ich Angst hatte, dass ihm kalt wurde, zufrieden, weil die Aussicht so schön war. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in dem tiefschwarzen Wasser. Es war eine sehr friedliche Atmosphäre.
Und dann machte ich große Augen, als die gesamte Bucht plötzlich von einem Spektrum blauer, roter und grüner Farbtöne erleuchtet wurde, die in den Himmel schossen. Jetzt wusste ich, was er gemeint hatte.
Als ich die Böller hörte, wandte ich mich lächelnd zu ihm um. Seine Augen blickten einladend, sein Lächeln war einfach nur hinreißend. Ich küsste ihn, ohne an etwas anderes zu denken als an die unglaubliche Freude, die mich durchströmte, als wir das neue Jahr begrüßten. Der Abend hätte nicht besser sein können. Zumindest bis wir zu ihm nach Hause zurückkehrten.
Die Fahrt dorthin konnte ich kaum abwarten. Ich war ebenso aufgeregt wie nervös, dass ich die Nacht mit ihm verbringen würde. Weil ich mich wohlfühlen wollte, hatte ich darauf verzichtet, irgendetwas Ausgefallenes zu kaufen, sondern meinen schönsten Schlafanzug eingepackt, außerdem eine fast neue Baumwollhose und ein T-Shirt.
Bei der Ankunft fühlten wir uns beide etwas unbehaglich, denn wir waren unsicher, wie wir uns verhalten sollten. Wenn wir zusammen waren, benahmen wir uns völlig ungezwungen, doch unsere Erfahrung hinsichtlich gemeinsam verbrachter Nächte beschränkte sich ausschließlich auf mein Zimmer. Das hier war sein Haus und es war sein Zimmer. Ein vertrauter Raum sollte mir die Umstellung leichter machen.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich mich in deinem Arbeitszimmer umziehe?«, fragte ich.
»Nein, natürlich nicht.« Er schien für meinen Geschmack etwas zu erleichtert über meinen Vorschlag zu sein.
Während Wes in seinem Schlafzimmer verschwand, zog ich mich schnell um, band mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und ging nach unten, um auf ihn zu warten. Es dauerte nicht lange, bis er in schwarzen Jogginghosen und einem grauen T-Shirt herunterkam, das sich eng an seinen Körper schmiegte. Mein eigenes T-Shirt kam mir im Vergleich dazu reichlich unpassend vor, weil es meine Figur so gar nicht betonte.
»Bist du müde?«, fragte er.
»Nein«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
Er griff nach der Fernbedienung. Im Fernsehen ging gerade die Berichterstattung über die Silvester-Feierlichkeiten in New York zu Ende. Die Atmosphäre war wie bei einem ersten Date. Wir waren beide nervös, denn natürlich war uns klar, dass dieser Abend für unsere Beziehung von grundlegender Bedeutung sein würde. Für mich war das Wichtigste, dass ich ihn liebte und ihn in dieser Nacht wollte.
Instinktiv legte ich meinen Kopf an seine Schulter, und er schloss die Arme um mich. »Danke für die Einladung zum Essen. Es war toll«, sagte ich leise.
Er drückte mich an sich. »Ich hab zu danken, dafür dass du gekommen bist.«
Wir sahen noch ein bisschen fern, bis ich irgendwann die Stille durchbrach. »Darf ich dich etwas fragen?«
»Du darfst mich alles fragen.«
»Würdest du mich küssen?«
Er war verwirrt. »Das musst du mich doch nicht fragen, Sophie.«
»Nein, ich meine, würdest du mich richtig küssen?« Ich sah ihm an, dass er verstanden hatte, was ich wollte. Er legte eine
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