Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
»Mein kostbares Porträt! Es ist ruiniert!«
Tatsächlich war es durch die diversen Treffer von Sebastianos Dolch nicht gerade hübscher geworden. Molly würde dafür einiges an Wiedergutmachung fordern. Um unsere Finanzen zu schonen, hatte ich vor ein paar Tagen angefangen, ihr unten in ihrem von Plüschkissen überladenen Wohnzimmer Klavierunterricht zu geben. Sie hatte nämlich von einer Freundin ein Tafelklavier geerbt, ein in dieser Epoche besonders beliebtes Musikinstrument. Besagte Freundin war die Mätresse eines erfolgreichen Pferdehändlers gewesen, der aus einer Bauernfamilie stammte, sich aber unbedingt kulturell weiterentwickeln wollte und ihr deshalb das Ding geschenkt hatte. Leider hatte Mollys Freundin – ihr Name war Bess – nicht mehr viel Spaß damit gehabt, denn bald darauf war sie an Schwindsucht gestorben. Das Klavier hatte sie mitsamt ihrem Liebhaber ihrer besten Freundin Molly Flanders vermacht, die jetzt bei mir lernte, darauf zu spielen.
»Nicht, dass noch ’ne feine Dame aus mir wird«, hatte sie zu mir gesagt. »Ist nur, weil ich die gute Bess so sehr mochte. Und weil es Mr Phelps gefällt, wenn man sich mit Musik und Oper und diesem Quatsch befasst.«
Leider war Molly komplett unmusikalisch. Ihre Etüden waren nur schwer zu ertragen, und die Wände im Haus waren zu dünn, um den Lärm abzuhalten. Abgesehen davon war es auch sonst nicht wirklich gemütlich hier – schöner Wohnen ging anders.
Wir hausten in einer zugigen kleinen Mansarde über den beiden Kammern, die Molly bewohnte, in einem vergammelten und miefenden Mietshaus in der Brick Lane. Nach unserer Flucht vom Grosvenor Square war uns nichts Besseres eingefallen, als bei ihr Zuflucht zu suchen. Schließlich hatte sie es uns seinerzeit in der Kirche ausdrücklich angeboten. Tatsächlich hatte sie uns großmütig aufgenommen, aber sie hatte so ihre Prinzipien, und das oberste lautete, nie etwas umsonst zu tun. Angeblich zahlte sie selbst eine so horrende Miete, dass sie ohne unseren Zuschuss schon längst hätte ausziehen müssen. Doch die neuen Kleider und die schreiend pink gefärbte Federboa, die ebenfalls brandneu sein musste, deuteten nicht gerade darauf hin, dass sie finanziell auf dem letzten Loch pfiff. Außerdem gab es noch Mr Phelps, dank dessen Gunst sie nur noch selten auf der Straße arbeiten musste. Unter anderem lernte sie auch deshalb Klavier, um später einmal eine Ehefrau nach Mr Phelps Geschmack zu sein. Für dieses Ziel kämpfte sie mit zäher Entschlossenheit. Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, dass er noch verheiratet war.
»Seine Alte hat nicht mehr lange zu leben«, hatte Molly mir letztens anvertraut. »Sie siecht seit Jahren vor sich hin. Schon die arme Bess hat ständig darauf gewartet, dass es die Frau hinwegrafft, aber der Sensenmann hat leider Gottes zuerst Bess geholt. Das Leben ist oft so ungerecht und der Tod erst recht.« Sie bekreuzigte sich. »Doch nun scheint sich alles zum Guten zu wenden. Letzte Woche hatte die Frau einen Blutsturz.«
Ein paar Tage später hatte sich Mrs Phelps allerdings in einer unerwarteten Anwandlung von Robustheit wieder erholt. Sie war offenbar sogar beim Kauf eines neuen Hutes gesichtet worden, was Mollys Laune seit Tagen auf dem Nullpunkt verharren ließ.
Molly inspizierte entsetzt die Löcher in ihrem Porträt. »Es ist völlig hinüber. Das schöne Bild! Es hat mich ein Vermögen gekostet!«
Ich hob Sisyphus hoch und drückte ihn an mich. »Wir würden dir den Schaden ja gern erstatten, aber wir sind pleite, Molly.«
Sie warf einen bezeichnenden Blick auf den silbernen Kerzenhalter, der auf der wurmstichigen Kommode stand – unser letzter Wertgegenstand. Alles andere war bereits in ihren Besitz übergegangen. Für eine neue Matratze (in der alten hatten Flöhe gehaust), für eine Dose Tee (unser einziger Luxus) und vor allem für das häufige Gassigehen mit Sisyphus. Wir selbst wagten es nicht, uns tagsüber draußen mit ihm blicken zu lassen, denn Fitzjohn ließ ja sowieso schon nach uns suchen. Ein kleiner Hund als zusätzliches Erkennungsmerkmal würde uns noch schneller auffliegen lassen. Folglich gab Molly ihn offiziell als ihr Eigentum aus und ging widerwillig mit ihm vor die Tür, wenn er mal musste, was ziemlich häufig vorkam.
Sie betrachtete zuerst mich und dann Sebastiano – auf eine Art, die mir nicht gefiel. »Vorhin hat übrigens jemand nach euch beiden gefragt. Ein großer, kräftiger Kerl, der ziemlich nach Bow Street
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