Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Herr wird gleich kommen«, sagte er.
Ich bedankte mich und schaute mich um. Allem Anschein nach handelte es sich um ein Arbeitszimmer. Beim Fenster stand ein Schreibpult mit Tintenfass und Papier. Auf einem größeren Tisch vor dem Kamin lagen aufgeschlagene Folianten und Dokumentenrollen. An den Wänden gab es Borde, auf denen Dutzende von Büchern standen, ein unübersehbarer Beweis für Trevisans Reichtum. Mit den Büchern war es wie mit den Gewürzen. Weil sie in dieser Zeit so selten und teuer waren, konnte sich kaum jemand welche leisten. Allein mit meiner Harry-Potter-Reihe wäre ich hier eine sagenhaft gute Partie, und hätte ich noch meine Biss -Romane draufgepackt, würden die heiratswilligen Junggesellen bei mir nur so Schlange stehen. Kurz schwelgte ich in der Vorstellung, mit ein paar Büchern und einem Pfefferstreuer zum angesagtesten It-Girl Venedigs zu werden, als mein Blick an dem großen Holzglobus hängen blieb, der auf einem Tischchen prangte. Er sah sehr kostbar aus. Die Erdteile waren als Intarsien in das Holz eingearbeitet, aber der Schreiner hatte sich dabei viel an künstlerischer Freiheit herausgenommen: Nord- und Südamerika waren zu einer Art langem dünnem Schlauch platt gedrückt. Dafür war Afrika gewaltig, vor allem im Süden. Gemessen daran nahm sich Asien ziemlich mickrig aus. Und obwohl ich in Erdkunde selten richtig aufgepasst hatte, war ich ziemlich sicher, dass ich auch die Arktis in dieser eigenwilligen Variante noch nie gesehen hatte. Die Antarktis fehlte ganz, dafür hatte vielleicht das Holz nicht mehr gereicht.
»Die Kontinente sind nach den allerneuesten Vermessungskarten geformt«, sagte Trevisan hinter mir. Er hatte das Zimmer betreten und deutete stolz auf den Globus.
»Ja, das ist wirklich sehr … schön. Und alles ganz ohne …« Satelliten und GPS , hatte ich sagen wollen, aber es kam nicht mal ein Ersatzwort heraus. Doch das schien Trevisan nicht zu stören. Er lächelte mich an.
Ich war erleichtert. Gott sei Dank, er hatte gute Laune!
»Was führt Euch zu mir, kleine Katze? Wie geht es dem werten Herrn Cousin? Übrigens, ich halte Sebastiano für einen scharfsinnigen jungen Mann. Unsere Gespräche über Politik schätze ich ungemein, sein Urteil ist mir wichtig. Dass er meine ablehnende Meinung zum jüngsten Ratsbeschluss in Sachen Schiffsbau und Überseehandel teilt, ermuntert mich, weiterhin für meine Sache einzustehen und sie nicht vorschnell verloren zu geben.«
»Er ist krank«, platzte ich heraus.
Trevisan wurde ernst. »Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.«
»Er musste ins Spital.« Meine Verzweiflung war mir offenbar anzumerken, denn Trevisan kam auf mich zu und nahm mitfühlend meine Hände. »In welches? Ich werde ihm den besten Arzt senden!«
Dort kümmern sich schon Izzy und Meredith um ihn, wäre hier definitiv die verkehrte Antwort gewesen. Also blieb ich bei der Wahrheit, jedenfalls bei der, die ich sagen durfte.
»Ich weiß nicht, wo er ist. Ein guter Freund brachte ihn fort. Bestimmt kehrt er bald zurück, dann erfahre ich es.«
»Lasst es mich wissen, damit ich den Arzt hinschicken kann.«
Ich nickte und trug dann den eigentlichen Grund meines Kommens vor, in der Hoffnung, dass es sich glaubhaft anhörte. Wenn ich im Lügen nur halb so gut war wie Clarissa, dürfte es damit keine Probleme geben. Allerdings ahnte ich, dass ich auf dem Sektor noch viel zu lernen hatte, deshalb blickte ich Trevisan während meiner Schilderung nicht direkt in die Augen, sondern betrachtete den Amerika-Schlauch auf dem Globus.
Ich berichtete, dass ein weiterer Freund meines Cousins mich am frühen Morgen zum Beten in die Kirche begleitet habe. Dort seien wir auf eine dunkle, verdächtig aussehende Gestalt aufmerksam geworden und zu der Überzeugung gelangt, es mit einem Räuber zu tun zu haben.
»Der Freund meines Cousins hat den Mann in die Sakristei gedrängt und ich habe rasch die Tür zugeworfen, in der Absicht, die Büttel zu rufen. Doch dann ging die Tür wieder auf und ich sah zu meinem Entsetzen, dass der Freund meines Cousins niedergeschlagen worden war. Mit einem Kerzenhalter.«
»Von dem Räuber?«, fragte Trevisan.
»Äh … Eigentlich war es kein Räuber. Sondern ein Mönch. Von daher war es ein … Irrtum.«
Ich versuchte meine Verlegenheit zu überspielen, indem ich rechtschaffene Empörung in meine nächsten Worte legte. Was mir nicht besonders schwerfiel, denn der Mönch hatte sich wirklich obermies benommen.
»Er hat dem armen
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