Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Wein vielleicht? Mir scheint, Ihr hättet eine Stärkung nötig.«
Ich lehnte sein Angebot dankend ab, obwohl ein kleiner Schwips mir vielleicht geholfen hätte, meine Angst um Sebastiano besser zu ertragen. Eventuell ließ ein Schlückchen Wein mich sogar vergessen, dass mein Deo ein halbes Jahrtausend weit weg war.
Gern wäre ich auch noch ein bisschen hier in diesem anheimelnden Zimmer geblieben, denn Trevisans väterliche Art, sein grau meliertes Haar und sein gütiges Lächeln erinnerten mich an Papa, der mir ganz schrecklich fehlte.
Doch ich musste Clarissa Bescheid geben, dass Bart freikam, damit Jacopo sich mit seinem armen verkrüppelten Fuß nicht umsonst auf den Weg machte.
Nachdem ich mich nochmals herzlich bei Trevisan bedankt hatte, verabschiedete ich mich von ihm. Der Diener begleitete mich hinaus.
Draußen blieb ich ein bisschen in der Sonne stehen und ließ das Erlebte Revue passieren. Bisher war ich überhaupt noch nicht dazu gekommen, über das, was seit dem Ball geschehen war, richtig nachzudenken. Alles war so schnell auf mich eingestürmt, dass dafür keine Zeit geblieben war.
Schreckliches hatte sich ereignet, aber auch Schönes. Zum Beispiel Sebastiano … Es war ein köstliches Gefühl, verliebt zu sein! Die paar Knutschereien, die ich in den letzten beiden Jahren verbucht hatte, waren eher Partylaunen gewesen, richtig verknallt hatte ich mich schon lange nicht mehr. Das letzte Mal war schon fast zwei Jahre her. Allerdings konnte man das nicht wirklich vergleichen, denn diesen Typen aus der zwölf hatte ich damals bloß aus der Ferne angehimmelt. Er hatte mich nie eines Blickes gewürdigt. Während das zwischen Sebastiano und mir eine ganz andere Sache war. Immerhin hatten wir uns beinahe schon geküsst, was ich sehr prickelnd fand.
Weniger prickelnd war das ganze Drumherum, vor allem, dass er gerade mehr als fünfhundert Jahre weit weg war und dass ich keinen Schimmer hatte, wann er wiederkam. Immerhin hatten wir es geschafft, ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren und ihn rechtzeitig zurück in die Zukunft zu befördern. José würde diesmal bei ihm bleiben und ihm Alvise mitsamt seinem Messer vom Hals halten, das hatte er versprochen, als wir mit dem Boot nach Santo Stefano gefahren waren.
Jetzt hieß es nur noch warten und hoffen, dass Sebastiano und José bald zurückkehrten. Dann würde ich auch endlich wieder nach Hause können.
Nach Hause … Ich dachte an Mama und Papa und meine Freunde, an die Schule, an Oma, an den neuen Film, den ich mir schon die ganze Zeit anschauen wollte.
Und dann dachte ich wieder an Sebastiano. Was würde aus uns beiden werden, wenn ich wieder zu Hause war? Zum ersten Mal kam mir in den Sinn, dass das mit uns vielleicht schwierig sein könnte. Angefangen bei der Sprache. Hier in der Vergangenheit hatten wir den intergalaktischen Translator (ich musste Sebastiano unbedingt noch fragen, wie das in Wirklichkeit hieß), aber in unserer eigenen Zeit sprach er Italienisch und ich Deutsch. Na ja, immerhin auch noch Englisch, das war besser als nichts. Und alles andere konnte man sicher lernen. Ich könnte Sprachferien in Venedig machen!
Gedankenverloren machte ich mich auf den Rückweg.
Ich war noch nicht weit gekommen, als ich Clarissas Stimme hörte. Sie wartete am Ende einer schmalen Seitengasse vor einem Torbogen auf mich.
Froh, ihr eine gute Nachricht überbringen zu können, eilte ich ihr entgegen. »Er kommt frei!«, sagte ich. »Heute noch!«
Erleichterung zeigte sich auf ihrem Gesicht. Aber ich meinte, auch noch etwas anderes wahrzunehmen. Und dann, als ich nur noch drei Schritte von ihr entfernt war, erkannte ich, was es war.
Sie hatte Angst.
Im nächsten Augenblick sah ich auch, warum. Jemand stand hinter ihr, im Schatten des Torbogens, aber nah genug, um ihr die Spitze eines Degens in den Rücken zu pressen.
Es war Giovanni Malipiero. Er grinste höhnisch. »Das hast du gut gemacht, Clarissa. Was täten wir nur ohne dich.«
»Lauf!«, rief sie. »Anna, lauf weg!«
Damit Giovanni sie ohne Zeugen einfach abstechen konnte?
»Lass sie sofort in Ruhe!«, sagte ich zu ihm, wobei ich versuchte, möglichst entschlossen dreinzuschauen, um darüber hinwegzutäuschen, dass ich vor Schreck fast in Ohnmacht fiel. »Wehe, du krümmst ihr auch nur ein Haar! Dann werde ich gegen dich aussagen und du endest genau wie der Kerl heute auf der Piazzetta.« Damit es keinen Zweifel darüber gab, was ich meinte, fügte ich hinzu: »Der, dem sie den Kopf
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