Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
wieder.«
Das war nur so dahingesagt, denn ich ahnte, dass es ein Abschied für immer sein würde. Mit einem Mal merkte ich, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Rasch legte ich den Gesichtsschleier vor, damit niemand sah, wie mir zumute war. Matthias Tasselhoff war die einzige Verbindung aus meiner Zeit. Er war im selben Jahr geboren wie ich. Auch wenn er sich nicht mehr an mich oder sein früheres Leben erinnern konnte, kam er mir vor wie eine Art Rettungsleine. Wenn ich jetzt ging, wäre sie zerrissen.
»Grüßt Euren werten Gatten«, sagte ich höflich zu Juliane Tasselhoff. »Und viel Glück im neuen Heim. Auf dass es Jahrhunderte in voller Pracht überdauern möge.«
Dieser Wunsch war natürlich eigennützig, aber warum sollten die Tasselhoffs nicht auch etwas davon haben? Schon wegen Matthias, dem ich wirklich ein gutes Leben gönnte.
Spontan sagte ich zu ihm: »Das mit den Zähnen – lass dich davon nicht abbringen. Ich bin derselben Meinung wie du: Man kann sie nicht oft genug putzen. Vor allem abends!«
Mit diesen Worten wandte ich mich rasch ab und eilte davon.
Die folgenden Tage verstrichen in öder Ereignislosigkeit. Das Spannendste, was ich erlebte, war das Feilschen mit Monna Faustina. Für jeden Brocken Seife, jedes frische Handtuch und jeden mickrigen vertrockneten Apfel verlangte sie Unsummen Geld. Ich tat mein Bestes, sie runterzuhandeln, aber ich musste essen und mich waschen, sodass meine Ersparnisse rasch zur Neige gingen. Bis zum nächsten Mondwechsel würde es reichen, doch wenn Sebastiano bis dahin nicht wieder auftauchte, sah es düster aus.
Aus Angst davor, Alvise über den Weg zu laufen, traute ich mich kaum noch vor die Tür. Ich war davon überzeugt, dass er regelmäßig die Orte im Auge behielt, an denen ich hätte auftauchen können. Alle paar Tage ging ich tief verschleiert zu dem Maskenladen, doch der blieb verlassen und die Tür verriegelt.
Die meiste Zeit hockte ich folglich in der stickigen, miefenden Dachkammer von Monna Faustina und wartete auf Sebastianos Rückkehr.
Oft musste ich an Bart denken und machte mir Sorgen darüber, was er wohl im Gefängnis auszustehen hatte. Nach allem, was ich bisher gehört hatte, ging man mit den Leuten im Knast nicht gerade zimperlich um. Amnesty International hätte hier alle Hände voll zu tun gehabt.
Noch mehr Gedanken machte ich mir allerdings um Clarissa. Manchmal zweifelte ich, ob sie überhaupt noch lebte. Dann wurde mir regelmäßig so elend zumute, dass ich mich ins Bett verkroch und heulte.
Außerdem tat ich mir selbst schrecklich leid. Der Gedanke, womöglich noch länger hier gefangen zu sein, machte mich depressiv. Nach ein paar Tagen wusste ich nicht mehr, was schlimmer stank: meine Klamotten oder ich selbst. Trotzdem fragte ich mich, ob ich es nicht vielleicht doch hinkriegen könnte, mich daran zu gewöhnen. Doch die Antwort war und blieb nein .
Am Ende wurden die miserablen hygienischen Verhältnisse jedoch bedeutungslos, denn der Mondwechsel rückte näher und wer nicht kam, war Sebastiano. Nun fürchtete ich nicht länger, dass er vielleicht zu spät kam, sondern nur noch, dass er die Krankheit möglicherweise gar nicht überstanden hatte. Er würde nie mehr zurückkommen, und José und Esperanza auch nicht, und ich würde für alle Zeiten hier festsitzen!
Ich heulte immer häufiger und hörte in meiner Niedergeschlagenheit sogar auf, mit Monna Faustina um Brot und Käse oder frische Handtücher zu feilschen, mit dem Ergebnis, dass ich nicht mehr viel aß und mich auch nicht mehr wusch.
Schließlich dauerte es nur noch drei Tage bis zum Mondwechsel, dann zwei, dann einen. Und dann war die Zeit gekommen, in der ich hätte abreisen müssen. Es wurde Abend und ich fing an, die Stunden zu zählen. Genau wusste ich nicht, wann es so weit war, aber dass es in dieser Nacht passierte, unterlag keinem Zweifel. Ich hatte es wieder und wieder ausgerechnet und mich dabei garantiert nicht vertan.
Doch das spielte nun keine Rolle mehr, denn ich würde die nächsten beiden Wochen bis zum darauffolgenden Mondwechsel wieder hier in der schlechten alten Zeit verbringen müssen. Und danach höchstwahrscheinlich den ganzen Rest meines Lebens.
Ich weinte mich verzweifelt in den Schlaf.
Ich hatte einen verrückten Traum, in dem Sebastiano an Monna Faustinas Tür pochte. Monna Faustina machte ihm auf und nörgelte ein wenig, weil er sie zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett warf, doch dann wurde sie freundlicher und verstieg
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