Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Vater leidet immer noch an der Wassersucht? Da ist guter Rat teuer.« Nachdenkliches Schweigen. »Ich hätte da noch ein letztes Mittel – das Zerkauen von Gewürznelken. Allerdings wirkt es nur, wenn man viele davon isst, das wird also nicht ganz billig. Dir ist nichts zu teuer für deinen alten Vater? Dachte ich es mir doch!«
Der Reihe nach verkaufte sie alle möglichen Kräutertinkturen, gegen Herzrasen, Schlaflosigkeit, Blasenbrennen und Husten. Außerdem Salben gegen Falten, Ekzeme, Jucken, Gliederreißen, Nachtschweiß und Impotenz.
Über Letztere wurde das Verkaufsgespräch tuschelnd hinter der Theke geführt, doch da sich dort die Küchentür befand, die obendrein nur angelehnt war, konnten wir jedes Wort verstehen.
»Wenn du ihm dieses Pulver verabfolgst, in erhitztem Wein aufgelöst und mit einem Löffel Honig kaschiert, wird er es die ganze Nacht treiben können wie ein wilder Stier! Ich sage dir, es klappt jedes Mal! Mein Jacopo verwandelt sich dadurch in einen brünstigen Lüstling!«
Jacopo legte mit gequälter Miene sein Schnitzmesser weg und schlug seine Stirn gegen den Küchentisch. Ich kämpfte gegen einen Lachanfall.
Unser Wasser war heiß. Wir füllten es in zwei Holzkübel und mischten es mit kaltem Wasser. Die Eimer schleppten wir in den Garten und zusätzlich holte Clarissa noch saubere Leinentücher und eine Art Seifenshampoo, das überraschend gut roch. Sie habe es selbst gemacht, erzählte sie, aus Pottasche und Talg. So genau hatte ich es gar nicht wissen wollen, aber immerhin war auch Lavendelessenz drin, darunter konnte ich mir wenigstens etwas vorstellen.
Das Haarewaschen war eine mühselige Angelegenheit. In dem einen Kübel weichte man das Haar ein und rieb die Seife hinein und mit dem zweiten Kübel kippte man sauberes Wasser über den Kopf, bis alles so gut wie möglich ausgespült war. Ich kniete vor dem Kübel, während Clarissa mir Wasser über die Haare schüttete. Mit den Leinentüchern rubbelte ich mich trocken, sah aber trotzdem hinterher aus, als wäre ich durch den Regen spaziert.
Anschließend wiederholte ich die gleiche Prozedur bei Clarissa, die etwas längeres Haar hatte. Wir setzten uns in die Sonne und kämmten uns gegenseitig die Zotteln aus, während Clarissa mir erzählte, was für Strapazen manche Venezianerinnen auf sich nahmen, um schönes Haar zu bekommen.
»Vor allem blond wollen sie sein«, sagte sie. »Viele tränken ihr Haar in Zitronensaft, damit es heller wird. Manche bleichen ihr Haar auch im Freien. Um ihr Gesicht vor der Sonne zu schützen, setzen sie einen breitrandigen Hut auf. Hinten schneiden sie ein großes Loch hinein, damit das Haar heraushängen kann.«
»Du lieber Himmel, so ein Aufwand«, sagte ich ehrlich erschüttert. Was hätte man hier mit L’Oréal für Geld machen können!
»In deiner Zeit ist das Blondieren sicher einfacher«, mutmaßte Clarissa.
Ich machte den Mund auf, aber es kam nichts heraus. Ersatzweise wollte ich nicken, aber nicht einmal das klappte.
»Versuch zu blinzeln, falls du Ja meinst«, schlug Clarissa vor.
Ich strengte mich wirklich an, aber vergeblich.
Clarissa seufzte. »So ist es immer. Da kann man wohl nichts machen.«
Auf ihren Vorschlag hin zogen wir uns nackt aus und wuschen uns mit der verbliebenen Seifenlauge von oben bis unten ab. Ich vergewisserte mich immer wieder, dass die Tür zur Küche geschlossen blieb und dass die Mauern um den Hof von ausreichender Höhe waren. Zusätzlich stellte ich mir vor, ich wäre in einer Sammeldusche für Mädchen, das half gegen das Schamgefühl.
»Warst du eigentlich auch nackt, als du in dieser Zeit gelandet bist?«, wollte ich wissen, während wir uns wieder anzogen.
Clarissa bejahte und erzählte, wie es sich zugetragen hatte. Im einen Moment hatte sie noch auf dem Karren gesessen, im nächsten hätte sich das grelle Licht ausgebreitet, gefolgt von dem Knall und der Dunkelheit. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte Bartolomeo ihr frische Kleidung überreicht und sie zu Matilda und Jacopo gebracht.
»Alles wie bei mir«, sagte ich nachdenklich. »Es war fast so, als wäre Bartolomeo darauf vorbereitet. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ich mich an alles erinnere. Er war richtig außer sich deswegen.«
»Genau wie bei mir!«, sagte Clarissa eifrig.
»Anscheinend kommt es häufiger vor, dass Leute aus einer anderen Zeit ankommen«, mutmaßte ich. »Von denen sich aber nicht alle erinnern, was mit ihnen geschehen ist. Ob es viele
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