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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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Au­gen sah der Prinz zu und fuhr sich mit der Zun­ge über die Ober­lip­pe. Er sah zu, wie Cro­nin, sein Haus­leh­rer, mit ei­nem dün­nen, elas­ti­schen Stock auf den nack­ten Rücken von Pi­er­re ein­schlug. Pi­er­re war vier­zehn, ein Jahr äl­ter als der Prinz; er war der Mit­schü­ler des Prin­zen, sein Freund und sein Prü­gel­kna­be. Er biß die Zäh­ne zu­sam­men, konn­te aber einen Schrei nicht un­ter­drücken, als der Stock al­te Wun­den auf­riß. Pi­er­re wur­de für das schlech­te Be­neh­men des Prin­zen be­straft.
    Dann kam ein wei­te­rer al­ter Mann in das Zim­mer. Es war Bi­schof La­marck. Er sah den Haus­leh­rer an und ging dann zu dem Prin­zen.
    „Eu­er Ma­je­stät“, be­gann er zö­gernd.
    „Was?“ frag­te der Jun­ge. Er war un­ge­dul­dig we­gen der Stö­rung, und sei­ne Au­gen wan­der­ten im Zim­mer um­her.
    „Eu­er Va­ter…“
    „Was?“
    „Er ist tot.“
    Nach ei­ni­ger Zeit sah der Jun­ge end­lich den Mann an. „Tot?“ sag­te er aus­drucks­los.
    Der Bi­schof starr­te auf den Bo­den. „Ja“, sag­te er. „Er und sei­ne ge­sam­te Ar­mee sind von At­ti­las Streit­kräf­ten nie­der­ge­met­zelt wor­den. Wir ha­ben die Nach­richt ge­ra­de be­kom­men. Darf ich Euch mein tiefs­tes Mit­ge­fühl aus­drücken?“
    Der Prinz lach­te. Bi­schof La­marcks Kinn­la­de fiel her­ab. Cro­nin hör­te da­mit auf, Pi­er­re zu ver­prü­geln.
    „Heißt das, daß ich jetzt Kö­nig bin?“ frag­te der Jun­ge.
    „J-ja.“
    „Gut.“ Der neue Kö­nig wisch­te sich et­was Spei­chel vom Kinn. „Dann müs­sen mei­ne Be­feh­le al­so be­folgt wer­den?“
    „J-j-ja.“
    „Gut.“ Er dreh­te sei­nen Kopf um. „Cro­nin!“
    „Ja?“
    „Gib Pi­er­re dei­nen Stock und zieh dein Hemd aus.“
    Der Leh­rer rühr­te sich nicht.
    „Sagt Ihr es ihm“, sag­te der Kö­nig.
    „Tut, was er sagt“, sag­te ihm der Bi­schof.
    Er tat, was ihm be­foh­len wor­den war.
    „Jetzt bist du dran, Pi­er­re. Der Un­ter­richt ist zu En­de.“
    Der Bi­schof glitt aus dem Zim­mer.
    Ein dün­ner Spei­chel­fa­den rann aus dem Mund­win­kel von Na­po­le­on XV.
    Cro­nin aber schrie.
     
     
    Sir Guy ritt noch ei­ne Zeit­lang auf dem Schlacht­feld um­her und über­leg­te sich, was er tun könn­te, um den Be­fehl sei­nes Herr­schers aus­zu­füh­ren. Die jun­ge Frau war aus dem Dorf ent­führt wor­den, al­so schi­en das der rich­ti­ge Platz zu sein, um an­zu­fan­gen. Je­mand hat­te ihm ges­tern Blan­cz ge­zeigt, und so fand er oh­ne grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten den rich­ti­gen Weg und setz­te sich in Rich­tung Dorf in Be­we­gung.
    Blan­cz äh­nel­te in­so­fern je­dem an­de­ren Dorf oder je­der Stadt, als es in Trüm­mer fiel. Die­je­ni­gen von den ur­al­ten Ge­bäu­den, die auf nicht sehr stark über­wu­cher­ten Grund­stücken stan­den und die Rui­nen am we­nigs­ten gli­chen, wa­ren ver­mut­lich be­wohnt. Als der Rit­ter zu der Haupt­stra­ße aus löch­ri­gem As­phalt kam, war nie­mand zu se­hen. Er wuß­te, daß hier nur zwölf Men­schen wohn­ten, aber ein Le­bens­zei­chen hät­te man trotz­dem er­war­ten kön­nen. Als er zum an­de­ren En­de des Dorfs kam, dreh­te er sein Pferd um, um noch ein­mal hin­durch­zu­rei­ten. Dann er­in­ner­te er sich dar­an, daß am Tag der Schlacht nicht nur An­ge­hö­ri­ge der bei­den Ar­meen ums Le­ben ge­kom­men wa­ren. Wahr­schein­lich war je­der von den Dor­fein­woh­nern als Zu­schau­er da­bei­ge­we­sen und wie die an­de­ren den ge­heim­nis­vol­len schwar­zen Zer­stö­rern zum Op­fer ge­fal­len. Guy stieg vom Pferd, band es an den ab­ge­bro­che­nen Rest ei­nes Be­ton-La­ter­nen­pfahls und mach­te sich dar­an, je­des der Häu­ser zu un­ter­su­chen, die ver­fal­le­nen eben­so wie die, die nicht ganz so ver­fal­len wa­ren.
    Schließ­lich fand er je­man­den. Es war ein rei­ner Glücks­fall, daß ihm das ge­lang, und viel­leicht wä­re es rich­ti­ger zu sa­gen, daß je­mand ihn fand. Das Haus sah eben­so wie ei­ne Rui­ne aus wie die bei­den Nach­bar­bau­ten da­ne­ben: zer­bro­che­ne Fens­ter­schei­ben, zer­brö­ckeln­de Back­stei­ne, Dach­zie­gel, fast be­gra­ben un­ter dem Ge­strüpp, der frü­her viel­leicht ein­mal ein Ra­sen ge­we­sen war. Aber

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