Zeitfinsternis
Augen sah der Prinz zu und fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe. Er sah zu, wie Cronin, sein Hauslehrer, mit einem dünnen, elastischen Stock auf den nackten Rücken von Pierre einschlug. Pierre war vierzehn, ein Jahr älter als der Prinz; er war der Mitschüler des Prinzen, sein Freund und sein Prügelknabe. Er biß die Zähne zusammen, konnte aber einen Schrei nicht unterdrücken, als der Stock alte Wunden aufriß. Pierre wurde für das schlechte Benehmen des Prinzen bestraft.
Dann kam ein weiterer alter Mann in das Zimmer. Es war Bischof Lamarck. Er sah den Hauslehrer an und ging dann zu dem Prinzen.
„Euer Majestät“, begann er zögernd.
„Was?“ fragte der Junge. Er war ungeduldig wegen der Störung, und seine Augen wanderten im Zimmer umher.
„Euer Vater…“
„Was?“
„Er ist tot.“
Nach einiger Zeit sah der Junge endlich den Mann an. „Tot?“ sagte er ausdruckslos.
Der Bischof starrte auf den Boden. „Ja“, sagte er. „Er und seine gesamte Armee sind von Attilas Streitkräften niedergemetzelt worden. Wir haben die Nachricht gerade bekommen. Darf ich Euch mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken?“
Der Prinz lachte. Bischof Lamarcks Kinnlade fiel herab. Cronin hörte damit auf, Pierre zu verprügeln.
„Heißt das, daß ich jetzt König bin?“ fragte der Junge.
„J-ja.“
„Gut.“ Der neue König wischte sich etwas Speichel vom Kinn. „Dann müssen meine Befehle also befolgt werden?“
„J-j-ja.“
„Gut.“ Er drehte seinen Kopf um. „Cronin!“
„Ja?“
„Gib Pierre deinen Stock und zieh dein Hemd aus.“
Der Lehrer rührte sich nicht.
„Sagt Ihr es ihm“, sagte der König.
„Tut, was er sagt“, sagte ihm der Bischof.
Er tat, was ihm befohlen worden war.
„Jetzt bist du dran, Pierre. Der Unterricht ist zu Ende.“
Der Bischof glitt aus dem Zimmer.
Ein dünner Speichelfaden rann aus dem Mundwinkel von Napoleon XV.
Cronin aber schrie.
Sir Guy ritt noch eine Zeitlang auf dem Schlachtfeld umher und überlegte sich, was er tun könnte, um den Befehl seines Herrschers auszuführen. Die junge Frau war aus dem Dorf entführt worden, also schien das der richtige Platz zu sein, um anzufangen. Jemand hatte ihm gestern Blancz gezeigt, und so fand er ohne größere Schwierigkeiten den richtigen Weg und setzte sich in Richtung Dorf in Bewegung.
Blancz ähnelte insofern jedem anderen Dorf oder jeder Stadt, als es in Trümmer fiel. Diejenigen von den uralten Gebäuden, die auf nicht sehr stark überwucherten Grundstücken standen und die Ruinen am wenigsten glichen, waren vermutlich bewohnt. Als der Ritter zu der Hauptstraße aus löchrigem Asphalt kam, war niemand zu sehen. Er wußte, daß hier nur zwölf Menschen wohnten, aber ein Lebenszeichen hätte man trotzdem erwarten können. Als er zum anderen Ende des Dorfs kam, drehte er sein Pferd um, um noch einmal hindurchzureiten. Dann erinnerte er sich daran, daß am Tag der Schlacht nicht nur Angehörige der beiden Armeen ums Leben gekommen waren. Wahrscheinlich war jeder von den Dorfeinwohnern als Zuschauer dabeigewesen und wie die anderen den geheimnisvollen schwarzen Zerstörern zum Opfer gefallen. Guy stieg vom Pferd, band es an den abgebrochenen Rest eines Beton-Laternenpfahls und machte sich daran, jedes der Häuser zu untersuchen, die verfallenen ebenso wie die, die nicht ganz so verfallen waren.
Schließlich fand er jemanden. Es war ein reiner Glücksfall, daß ihm das gelang, und vielleicht wäre es richtiger zu sagen, daß jemand ihn fand. Das Haus sah ebenso wie eine Ruine aus wie die beiden Nachbarbauten daneben: zerbrochene Fensterscheiben, zerbröckelnde Backsteine, Dachziegel, fast begraben unter dem Gestrüpp, der früher vielleicht einmal ein Rasen gewesen war. Aber
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