Zeitlose Zeit
Bierdosen hinter dem Haus, ein ganzer Sack voll. Wie kann er gleichzeitig Bier saufen und arbeiten? Ich beobachte ihn seit drei Jahren dabei und verstehe es immer noch nicht.«
»Ich wette, das ist das Geheimnis«, sagte Lowery ausdruckslos. »Es liegt nicht an Ragle, sondern am Bier.«
Black nickte zum Abschied und verließ das Haus.
Auf der Fahrt zurück zu den Stadtwerken beschäftigte ihn ein Gedanke immer wieder. Es gab nur diese eine Möglichkeit, der er sich nicht zu stellen vermochte. Mit allem anderen war zurechtzukommen. Man konnte eine Lösung finden. Aber –
Was sollte werden, wenn Ragle geistig wieder normal war?
Am Abend hielt er vor einem Drugstore und suchte nach etwas, das er kaufen konnte. Endlich fiel sein Blick auf ein Gestell mit Kugelschreibern. Er riß ein paar heraus und wollte den Laden verlassen.
»He, Mister!« sagte der Verkäufer ungehalten.
»Verzeihung«, sagte Black. »Das hatte ich ganz vergessen.« Das traf wirklich zu; für einen Augenblick war ihm entfallen, daß er das tun mußte. Er zog ein paar Scheine aus der Brieftasche, ließ sich herausgeben und eilte zu seinem Auto.
Er hatte vor, mit den Kugelschreibern im Haus aufzutauchen und Vic und Ragle zu erzählen, sie seien dem Wasserwerk als kostenlose Proben zugeschickt worden, die Stadtbediensteten dürften sie aber nicht annehmen. Wollt ihr sie haben? Er übte auf dem Heimweg.
Die einfachste Methode war stets die beste.
Er stellte den Wagen in der Einfahrt ab, lief die Stufen hinauf und betrat das Haus. Junie saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und nähte einen Knopf an eine Bluse; sie hörte sofort zu arbeiten auf und sah verstohlen mit solchem Schuldbewußtsein auf, daß er sofort Bescheid wußte. Sie war mit Ragle spazierengegangen und hatte Händchen gehalten.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo«, sagte Junie. »Wie war es heute im Büro?«
»Immer das gleiche.«
»Stell dir vor, was heute passiert ist.«
»Was ist heute passiert?«
»Ich war bei der Reinigung und habe deine Sachen geholt, und da traf ich Bernice Wilks. Wir unterhielten uns über die Schulzeit – wir waren gemeinsam auf der Cortez-Oberschule –, fuhren mit ihrem Wagen in die Stadt zum Essen und dann ins Kino. Und ich bin eben erst heimgekommen. Es gibt also Hackbraten, tiefgekühlt.« Sie sah ihn ängstlich an.
»Ich bin begeistert von Hackbraten«, sagte er.
Sie stand auf. In ihrem langen Stepprock mit Sandalen und der Bluse mit dem breiten Kragen und medaillengroßen Knöpfen sah sie ganz reizend aus. Ihr Haar war kunstvoll aufgetürmt, mit einem Knoten am Hinterkopf.
»Du bist wirklich lieb«, sagte sie erleichtert. »Ich dachte, du wirst böse sein und brüllen.«
»Wie geht es Ragle?« fragte er.
»Ich habe ihn heute nicht gesehen.«
»Nun«, sagte er sachlich, »wie ging es ihm, als du ihn das letzte Mal gesehen hast?«
»Ich versuche mich zu erinnern, wann ich ihn zuletzt gesehen habe.«
»Du hast ihn gestern gesehen.«
Sie blinzelte.
»Nein«, sagte sie.
»Das hast du gestern abend erzählt.«
»Bist du sicher?« sagte sie zweifelnd.
Das war es, was ihn ärgerte; nicht, daß sie es mit Ragle trieb, sondern daß sie schwache Ausreden erfand, die nie zusammenpaßten und nur noch mehr Verwirrung auslösten. Vor allem angesichts der Tatsache, daß er unbedingt etwas über Ragles Zustand erfahren mußte.
Die Torheit, mit einer Frau zu leben, die ihrer Umgänglichkeit wegen ausgewählt worden war ... Man konnte sich darauf verlassen, daß sie herumstolperte und das Richtige tat, aber wenn die Zeit kam, sie zu fragen, was geschehen war, brachte ihre angeborene Neigung, zu ihrem eigenen Schutz zu lügen, alles zum Stillstand. Was gebraucht wurde, war eine Frau, die eine Indiskretion begehen und dann darüber zu sprechen vermochte. Aber jetzt war es zu spät, alles umzugestalten.
»Erzähl mir vom alten Ragle Gumm«, sagte er.
»Ich weiß, was du für einen schlimmen Verdacht hast, aber das sind nur Ausflüsse deiner eigenen abnormen Psyche. Freud hat gezeigt, daß Neurotiker sich dauernd so verhalten.«
»Erzähl mir bloß, wie Ragle sich zur Zeit fühlt, wenn ich bitten darf. Was du getrieben hast, ist mir egal.«
Das genügte.
»Hör mal«, sagte Junie mit dünner, schriller Stimme, die durch das ganze Haus tönte. »Soll ich sagen, daß ich mit Ragle ein Verhältnis gehabt habe, meinst du das? Den ganzen Tag sitze ich hier und denke nach; weißt du, worüber?«
»Nein.«
»Ich verlasse dich vielleicht, Bill. Ragle und ich gehen vielleicht miteinander
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