Zeitlose Zeit
Menschenmassen. Spalier auf den Straßen.«
»Da drüben«, sagte Vic. »In England, vielleicht. Nicht in Amerika.«
»Nein, da wird von ihren Fanklubs in Amerika gesprochen.«
»Wo hast du das her?« sagte Vic zu Ragle.
»Aus den Ruinen. Die von der Stadt geräumt werden sollen.«
»Vielleicht ist es eine ganz alte Illustrierte«, sagte Margo. »Aber Laurence Olivier lebt noch ... ich erinnere mich, erst voriges Jahr ›Richard III.‹ im Fernsehen gesehen zu haben.«
Sie sahen einander an.
»Möchtest du mir sagen, was für eine Halluzination du jetzt hast?« sagte Vic.
»Was für eine Halluzination?« sagte Margo sofort und sah ihn und Ragle der Reihe nach an. »War es das, worüber ihr beiden gesprochen habt, was ich nicht hören sollte?«
Nach einer Pause sagte Ragle: »Ich habe eine Halluzination gehabt, meine Liebe.« Er versuchte seine Schwester aufmunternd anzulächeln, aber ihr Gesicht blieb hart vor Sorge. »Mach kein so sorgenvolles Gesicht«, sagte er. »So schlimm ist es auch wieder nicht.«
»Was ist es?« fragte sie scharf.
»Ich habe Schwierigkeiten mit Wörtern.«
»Schwierigkeiten beim Sprechen?« sagte sie sofort. »O Gott – so ging es Präsident Eisenhower nach seinem Schlaganfall.«
»Nein«, sagte er. »Das meine ich nicht.« Sie warteten beide, aber nun, da er es erklären wollte, war es beinahe unmöglich. »Ich meine, die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen.«
Dann verstummte er.
»Hört sich an wie Gilbert und Sullivan«, sagte Margo.
»Das ist alles«, sagte Ragle. »Besser kann ich es nicht erklären.«
»Dann glaubst du nicht, daß du den Verstand verlierst«, sagte Vic. »Du glaubst nicht, daß es an dir liegt, sondern außerhalb. An den Dingen selbst. Wie bei meinem Erlebnis mit der Zugschnur.«
Nach einigem Zögern nickte er schließlich.
»Vermutlich«, sagte er. Aus irgendeinem unklaren Grund hatte er eine Aversion dagegen, Vics Erlebnis mit dem seinigen in Zusammenhang zu bringen. Sie schienen ihm nicht vergleichbar zu sein.
Wahrscheinlich nur mein Snobismus, dachte er.
Margo sagte mit langsamer, dumpfer Stimme: »Glaubst du, daß wir hinters Licht geführt werden?«
»Was für eine sonderbare Frage«, sagte er.
»Was meinst du damit?« erkundigte sich Vic.
»Ich weiß nicht«, sagte Margo. »Aber im ›Verbraucher-Magazin‹ wird man immer aufgefordert, auf Schwindel und irreführende Werbung zu achten; du weißt schon, falsche Gewichte und dergleichen. Vielleicht ist diese Illustrierte, das Aufsehen um diese Marylin Monroe, nichts als heiße Luft. Sie versuchen, irgendein kleines Sternchen aufzubauen und so zu tun, als hätte alle Welt von ihr gehört, damit alle sagen, wenn sie das erstemal von ihr hören: Ach ja, die berühmte Schauspielerin. Ich persönlich finde, daß sie höchstens an einer Drüsenstörung leidet.« Sie verstummte und zupfte nervös an ihrem Ohr. Auf ihrer Stirn entstand ein Netz von Sorgenfalten.
»Du meinst, jemand hat sie erfunden?« sagte Vic und lachte.
»Hinters Licht geführt«, wiederholte Ragle. »Getäuscht.« Tief in ihm wurde eine Saite angerührt. Ganz unterschwellig. »Vielleicht gehe ich nicht fort«, sagte er.
»Wolltest du fortgehen?« fragte Margo. »Keiner fühlt sich verpflichtet, mich in irgend etwas einzuweihen. Ich nehme an, du wolltest morgen fort und nie mehr zurückkommen. Schreib uns eine Ansichtskarte aus Alaska.«
Ihre Bitterkeit machte ihn verlegen.
»Nein«, sagte er. »Es tut mir leid, Liebes. Außerdem bleibe ich. Du brauchst also nicht zu brüten.«
»Hast du vorgehabt, aus dem Preisausschreiben auszusteigen?«
»Ich hatte mich noch nicht entschieden«, sagte er.
Vic blieb stumm.
Er sagte zu seinem Schwager: »Was können wir deiner Meinung nach tun? Wie stellen wir an – was wir anstellen sollten?«
»Keine Ahnung«, sagte Vic. »Du hast Erfahrung mit Recherchen, Akten, Daten und Tabellen. Fang an, das alles zu sammeln. Bist du nicht derjenige, der Strukturen erkennen kann?«
»Strukturen«, sagte er. »Ja, das stimmt wohl.« Er hatte in diesem Zusammenhang nicht an seine Begabung gedacht. »Vielleicht«, sagte er.
»Füge alles zusammen. Sammle alle Informationen, halt sie schwarz auf weiß fest – ach was, bau einen von deinen ›Suchern‹ und laß es durchlaufen, damit du einen Überblick bekommst.«
»Unmöglich«, sagte er. »Wir haben keinen Bezugspunkt. Nichts, wonach wir urteilen könnten.«
»Einfache Widersprüche«, widersprach Vic. »Die Zeitschrift mit einem Artikel über einen weltberühmten Filmstar,
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