Zeitreise ins Leben (German Edition)
finden. Eure Tante j ibt oft nur sehr spät Beschejd “, meinte sie, lachte dabei laut auf und zeigte ihr lückenhaftes Gebiss. Zuerst war ich ein wenig schockiert, doch dann wurde mir klar, dass dem körperliche n Verfall in dieser Zeit ja nicht so leicht entgegengea r beitet werden konnte. Waren in meiner Zeit gerade Zähne bleichen und Zahnspangen für E r wachsene an der Tagesordnung, so war hier nicht einmal die Rede von entsprechender Zah n hygiene. Diese Überlegung war es dann auch, die mich auf die Idee brachte, bei nächster G e legenheit meine Zähne zu prüfen. Amalgam musste hier schließlich erst einmal einer erkl ä ren! Doch als ich kurz darauf in die polierte Silberscheibe sah, erkan n te ich die umfassende Wirkung des Zaubers und seine Liebe fürs Detail. Alles blank und keine Spur von neuzeitl i cher Zahntechnik.
„Glück jehabt, Frau Elisabeth. Sie sehen wirklich f fff abelha ft aus “, meinte Gertrude mit e i nem herzlichen Lachen und begann mich anzukleiden. Zuerst dieses Teil, dann das näch s te. Es waren ein paar Schichten übereinander, aber es gab wenigstens kein Korsett . Das Kleid saß dennoch eng und war ein wenig rau, aber es schnürte nicht ein. Danach wurden meine Haare geflochten und mit einem Band versehen. Gertrude klatschte zufrieden in die Hände, aber f ür längeres Bestaunen war keine Zeit . Hanna wartete schließlich auf mich und so beei l te ich mich und huschte mit Gertrude schnell zum Frühstücks raum . Wobei „Raum“ es nicht ganz traf. Es war ein Saal und er war in meinen Augen riesig. An den Wänden befanden sich Bilder, die der Zeit entsprechend wuchtig aussahen und eher unansehnliche Menschen zei g ten. Vielleicht lag es am einfachen Malstil oder an der Größe der Leinwände , doch eigentlich waren es die Motive an sich, die das Bild verunstalteten. In den Museen des 21ten Jahrhu n derts hatte ich bisher auch kaum Adelige aus dieser Zeit gefunden, die hübsch oder anspr e chend anzusehen gewesen wären . Seltsame Proportionen und wimpernlose Augen ha t ten sich mit einem gewissen Grauen in mein Gedächtnis geprägt und den Menschen dieser Zeit jede Ästhetik und Schönheit abgesprochen . Zu Recht, wie ich nun mit Bedauern feststellen mus s te, denn die Aussicht war nicht erhebend, hier drei Monate lang nur hässli che Menschen a n zutreffen . Lediglich die Farben der Bilder wirkten lange nicht so düster wie bei den alten, re s taurierten Gemälden im Museum . Hässliches Motiv, schöne Farben, s o zusagen.
Es duftete herrlich nach süßem Gebäck mit Sesam und Zimt . Gedankenverloren sog ich die neue Atmosphäre ein und vergaß dabei vollkommen , dass Hanna die ganze Zeit auf mich wa r tete . Aber der Eindruck war einfach fantastisch, musste aufgenommen und verarbeitet we r den. Nichts von all dem hier konnte eine Illusion sein oder einem Betrug entspringen ! Ich b e fand mich im Jahre 1212 , leibhaftig und mit ganzer Seele und glaubte allmählich daran, dass ich mich tatsächlich aus freien Stücken für diese Zeit en t schieden hatte . Das alles hier spürte sich so einzigartig und fantastisch an, dass ich Teil dieser Realität sein wol l te . Lernen und genießen, verschmelzen und hautnah erleben ... so lange, bis ich für ein neues Leben in me i ner Zeit bereit war . Endlich begriff ich, was für ein Geschenk ich mit dieser ungewöhnl i chen Reise bekommen hatte ! Und – hmmm – was für ein herrliches Sesamgebäck da gerade vom Tisch zu mir herüber lachte ! Selbst die Milch und der Honig schienen intensiver zu du f ten, als in meiner Zeit.
„Es ist wohl alles sehr neu für dich, mein Kind? Aber ich sehe schon jetzt, dass du dich für diese Zeit begeistern kannst. Ich bin übrigens nicht minder ungeduldig zu erfahren, wie es dir auf deiner Entdeckungsreise ergehen wird. Du solltest dich jedenfalls langsam und zwar wir k lich lan g sam an die neuen Gegebenheiten gewöhnen. Entdecke das Haus, den Garten und von mir aus auch die Ställe. Aber vorerst nicht mehr! Für Ausflüge und weitere Spaziergänge bist du noch nicht bereit. Ich verlasse mich daher darauf, dass du diesem Wunsch en t sprichst und das Grundstück in den nächsten Tagen nicht verlässt!“ Dabei ruhten ihre gra u en Augen fest auf mir, denn dieser Punkt war ihr offenbar sehr wichtig . Und e s stimmte ja auch ! I ch durfte hier nicht allzu sehr auffallen , musste auf meine Sicherheit achten und sollte jede
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