Zeitreisende sterben nie
Buch vertieft war.
Sie stellten sich einander vor. Die Frau war Mary Lamb, die zwanzig Jahre zuvor ihre Mutter im Zuge eines ihrer Wahnanfälle ermordet hatte. Im Moment schien es ihr glücklicherweise gutzugehen. Sie war nicht unattraktiv, auch wenn sich in ihren Zügen eine Sturheit abbildete, die andeutete, dass sie kein besonders flexibler Mensch war.
Vom Wohnzimmer aus konnte man auf die Rüssel Street hinaussehen, auf der einige Kinder mit einem Ball spielten. Gerahmte Bilder von Leuten, die Shel nicht einordnen konnte, schmückten die Wände. Überbordende Bücherregale standen sich auf zwei Seiten des Zimmers gegenüber. Eine Zeitung war auf dem Kaffeetisch vor dem Sofa ausgebreitet, auf dem Lamb offenbar gesessen hatte.
»Die erste Ausgabe«, sagte Shel, »soll im Juli erscheinen. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir ein Essay von Ihnen bekommen könnten, falls Sie so freundlich wären.«
»Ein Essay? Mr Shelborne, ich möchte Sie nicht enttäuschen, aber ich habe seit zwölf oder dreizehn Jahren nichts mehr geschrieben. Was führt Sie gerade zu mir?«
»Vertrauen Sie mir, Charles. Darf ich Sie Charles nennen?«
»Gewiss.«
»Nun gut, Charles.« Shel sah sich kurz zu Dave um. Er hatte mit der Idee gespielt, es mit Charlie zu versuchen.
»Vielleicht kennen Sie meinen Vater, Michael. Er hat sich von jeher für Ihre Arbeit begeistert.«
»Michael Shelborne?« Lamb überlegte. Schüttelte den Kopf. »Diesen Herrn kenne ich nicht.«
»Ich kann Ihnen ein Bild von ihm zeigen«, sagte Shel und zog das übliche Foto hervor.
Lamb reagierte ganz ähnlich wie Aristarchos. Aber, nein, er erinnerte sich nicht an den Mann.
»Jedenfalls«, sagte Shel und gab sich Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen, »haben wir uns Ihre Shakespeare-Bearbeitung angesehen. Und Ihre gesammelten Werke.«
»Und sie haben Ihnen gefallen?«
»Aber ja. Wir möchten Sie bitten, Essays für uns zu schreiben. In regelmäßiger Folge.«
»Ist das Ihr Ernst, Sir?«
»Gewiss.«
»Wenn ich fragen darf, Ihr Name ist mir fremd. Werden Sie als Herausgeber fungieren?«
»Ich finanziere das Projekt. Hinter den Kulissen, wenn Sie verstehen. Mein Name wird nirgends in Erscheinung treten.« Shel erzählte ihm, wer das Magazin herausgeben würde.
»Ich verstehe.« Lamb wurde nachdenklich. Ein misstrauischer Blick wechselte zwischen ihm und Mary.
»Hören Sie«, sagte Shel, »ich habe auch meine Zweifel. Aber was haben Sie schon zu verlieren? Ich bitte Sie lediglich,
uns ein Essay zu schicken. Dann werden Sie sehen, ob ich es ernst meine.«
Die Stimmung im Raum hob sich spürbar. Shel erkundigte sich, ob Dave und er die Lambs zum Abendessen ausführen dürften. »Zur Feier des Tages.«
»Ich würde wirklich gern«, sagte er. »Aber wir bekommen heute Abend Besuch.«
Mary sah Shel an. »Vielleicht«, sagte sie, »falls es konveniert, könnten Mr Sheldon und sein Begleiter uns nächste Woche besuchen.«
»Es wäre uns ein Vergnügen«, sagte Dave.
Lamb lächelte. »Sam wird am Mittwoch hier sein. Er würde sich freuen, Sie kennenzulernen.«
Sam war, wie sich herausstellte, Charles' langjähriger Freund Samuel Taylor Coleridge. Er war so etwas wie ein Komiker; eine Eigenschaft, die Shel in Anbetracht seiner Schriften nie von ihm erwartet hätte. Nicht, dass er viel von ihm gelesen hätte. Er hatte ein herzhaftes Lachen und war der Ansicht, Shel habe mit seinem Interesse an Charles erlesenen Geschmack demonstriert. »Die Wahrheit ist«, sagte er, »dass ich schon seit Jahren versuche, ihn dazu zu bewegen, sich ein wenig in meine Richtung zu bewegen und zur Dichtkunst zu wechseln, dorthin, wo das große Geld wartet.«
Das rief herzliches Gelächter hervor. Und Lamb korrigierte ihn: »Romantische Dichtung.« Sogar Mary zeigte sich froher Stimmung.
»Gott weiß, solange Byron und Shelley frei herumlaufen«, sagte Coleridge, »können wir jede Hilfe brauchen, die wir nur bekommen können. Übrigens, hat irgendjemand Frankenstein gelesen?«
»Ja«, sagte Mary.
»Und was denken Sie darüber?«
»Ich fand ein paar Ähnlichkeiten zu der »Ballade vom alten Seemann«. Eigentlich bin ich gar nicht sicher, ob es sich nicht um eine Hommage an Sie handelt.«
»Tatsächlich?«
»Kennen Sie Mary Shelley?«, erkundigte sich Dave.
»Oh, ja.« Coleridge strahlte geradezu. »Sie ist eine talentierte junge Frau.« Um Bestätigung heischend sah er sich zu Lamb um.
»Ich habe es nicht gelesen«, sagte der, »aber, ja, das ist sie.«
Coleridge gab
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