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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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heraus, deren Schalen zerbrochen waren, und reichte sie ihr. Sie fragte nicht einmal, woher ich sie hatte, schüttelte nur ungläubig den Kopf und begann zu essen. Sie bot mir etwas davon an, aber ich erzählte ihr, dass ich bereits gegessen hatte, und überließ ihr alles.
    Die Nacht verbrachten wir drinnen, oben auf den Stufen, geschützt vor dem leichten Wind, der aufgekommen war. Wir saßen aneinandergelehnt auf der dritten oder vierten Stufe von oben, die Augen befanden sich auf der Höhe der Plattform, sodass wir unter dem Geländer hindurch auf die Stadt blicken konnten. Ich hatte die Arme um Julia geschlungen, ihr Kopf ruhte an meiner Brust. Es war kalt, aber doch erträglich, und mir gefiel es so. Julia schlief sofort ein, und eine Zeit lang, während ich sie umschlungen hielt, starrte ich noch hinaus; alles, was ich sah, war Dunkelheit, die von einigen wenigen matten Lichtern unterbrochen wurde. Eines nach dem anderen dieser Lichter erlosch, schließlich war es vollkommen finster, die Stadt war beinahe still, und dann schlief auch ich ein.
    Zweimal wachten wir auf, unsere Glieder waren steif und kalt geworden, wir standen auf, streckten und bewegten uns. Wieder traten wir hinaus, sorgfältig darauf achtend, keinen Lärm zu verursachen, und umrundeten ein paarmal die Plattform, sahen hinunter auf die Baumkronen, die stillen beleuchteten Wege des Parks und blickten über die dunkle Stadt. Als wir uns wieder hineinbegeben hatten und Julia und ich versuchten, uns gegenseitig zu wärmen, wusste ich, dass ich auf den kalten Stufen nicht mehr einschlafen konnte. Schließlich flüsterte Julia: »Bist du wach?« Ich nickte, mein Kinn berührte ihr Haar, damit sie meine Antwort spüren konnte. »Ich auch«, sagte sie.
    Und dann, ohne es geplant zu haben, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, erzählte ich Julia mit leisen Worten, wer ich war und woher ich kam. Ich spürte, dass es Zeit dafür war und sie ein Recht darauf hatte. Ich erzählte ihr von dem Projekt, von Rube, Dr. Danziger, Oscar Rossoff und von meinem Leben in dieser weit entfernten Zeit. Mit gleichmäßigem Gemurmel, das selbst in nächster Nähe kaum mehr zu hören gewesen wäre, erzählte ich von meinen Vorbereitungen mit Martin, meinem Leben im Dakota, dem ersten erfolgreichen Versuch, meiner Ankunft in ihrem Haus. Zweimal hob sie ihren Kopf, starrte mir ins Gesicht und betrachtete es aufmerksam, so gut es in der Dunkelheit ging, dann ließ sie sich wieder in meine Arme sinken, und ich fragte mich, was sie wohl dachte. Ich hatte keine Ahnung. Ich verletzte eine fundamentale Regel des Projekts und wusste, dass niemand Verständnis dafür haben würde. Aber ich spürte, dass ich richtig handelte. Schließlich war ich fertig und wartete.
    Sie atmete tief ein, dann seufzte sie und sagte: »Danke, Si. Du bist der verständnisvollste Mann, der mir je begegnet ist. Du hast mir durch eine lange Nacht geholfen. Seit ich als kleines Mädchen Little Women gelesen hatte, war ich nicht mehr so verzaubert. Du solltest die Geschichte aufschreiben und vielleicht illustrieren. Ich bin mir sicher, dass Harper’s daran Interesse hat. Und nun glaube ich auch, dass ich wieder schlafen kann.«
    »Gut«, sagte ich und lächelte leise in die Dunkelheit hinein: eine erfundene, ausgesponnene Geschichte, um sie zu unterhalten. Was zum Teufel sollte sie denn sonst davon halten? Und nach wenigen Minuten war auch ich eingeschlafen, dieses Mal tief und fest.
    Ich wachte auf und fühlte auf eine seltsam instinktive Art, dass die Nacht zu Ende ging; die Morgendämmerung war nicht mehr weit, und ich war traurig. So unbequem es auch war, so schön war es auch, mit Julia hier gewesen zu sein. Nun lag nichts mehr vor uns als ein weiterer Tag, den wir nicht überstehen würden. Vielleicht konnten wir noch irgendwo ein Frühstück besorgen, aber dann müssten wir wieder durch die Straßen laufen, die Müdigkeit von gestern noch in den Knochen, bis wir schließlich doch geschnappt werden würden. Vielleicht, dachte ich, sollten wir uns gleich stellen; wenigstens könnten wir es dann warm haben und würden nicht mehr gehetzt werden.
    Von den ersten Sonnenstrahlen war noch nichts zu sehen, dennoch war die Dunkelheit leicht aufgehellt. Draußen konnte ich die verzierten Streben des Geländers erkennen, was vorher nicht möglich gewesen war. Wieder überkam mich das Gefühl der Fremdartigkeit. Ich musste es mir einreden: Wir befanden uns, so unglaublich es klang, hoch oben in der Fackel

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