Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
besonders schön, auf ihrer eigenen kleinen Handpresse gedruckt, wie ich annahm — die Zukunft, aus der jeder das herauslesen konnte, was ihm behagte. Oder, falls man dies wünschte, ließ sie den Vogel aus dem hinteren Teil der Kiste eine Ja-oder-nein-Karte ziehen, die Antwort gab auf die Frage, die man sich im Stillen gestellt hatte. Man erzählte sich, dass sie sehr gute Geschäfte mache bei Pferderennen oder wo auch immer sonst gewettet wurde.
Ich ging an ihr vorüber; diesmal stand sie im Eingang eines kleinen Textilladens, der noch nicht geöffnet hatte. Niemand schenkte ihrer Wahrsagerei Glauben, zumindest wollte es keiner zugeben. Die Bird Lady diente vor allem der Unterhaltung; ich habe keinen gesehen, der ihren Umschlag nicht mit einem verlegenen Lächeln in Empfang genommen hätte, um die Welt glauben zu machen, dass er sie nicht ernst nahm. Dennoch bin ich überzeugt, dass neben dem ausgeprägten rationalen Denken in der heutigen Zeit die alte, primitive Methode, mit der wir zu unseren Meinungen und Entscheidungen kommen, noch immer fortwirkt, ohne an Kraft eingebüßt zu haben. Und gleichgültig, was der gesunde Menschenverstand mir dazu eingab, ich verlangsamte meine Schritte, zögerte, kehrte um und war plötzlich felsenfest davon überzeugt, dass die Bird Lady mir bei der richtigen Entscheidung helfen würde.
Ich blieb vor ihr auf dem Gehweg stehen, und sie lächelte mich an; ich holte eine Handvoll Kleingeld heraus und gab ihr ein Fünfcentstück. Sie lächelte wieder, fragend, und ich sagte: »Eine Frage bitte.« Sie bewegte den Stecken, auf dem ihr Vogel im hinteren Teil der Kiste saß, und wartete einen Moment, während ich mir still die Frage vorsagte: Soll ich, falls möglich, meine eigene Zeit besuchen? Dann nickte ich der Bird Lady zu. Sie senkte den Stock und gab dem Vogel damit ein Zeichen, und der kleine runde gelbe Kopf neigte sich augenblicklich und tauchte mit einem winzigen Umschlag im Schnabel wieder auf. Lächelnd überreichte ihn mir die Bird Lady.
Ich nahm ihn an mich, dankte ihr und ging langsam — mein Herz klopfte stark – weiter. Ich lächelte, versuchte über meine abergläubische Furcht zu lachen, aber es gelang mir nicht ganz. Ein paar Meter weiter wollte ich es plötzlich wissen; ich trat aus dem Strom der Passanten heraus und stellte mich mit dem Rücken zum Fenster eines Zigarrenladens. Neben mir stand die fast lebensgroße lackierte Holzfigur eines Kilt tragenden Schotten, der eine Holzkiste mit Zigarren vor sich hielt. Der kleine Umschlag war nicht zugeklebt; ich öffnete ihn, nahm ein kleines zusammengefaltetes, rötlich graues Papier heraus und zögerte. Ich sah es noch nicht an, sondern betrachtete die rote Wange des Holzgesichts neben mir. Dann sprach ich still die Frage: Soll ich zurückgehen, wenn es mir möglich ist? Ich öffnete das Papierchen, und erblickte ein Ja.
Ich glaubte dem Wort. Das raue Stückchen billigen Papiers mit den schlecht gedruckten beiden Buchstaben, die etwas verschoben und vor langer Zeit in das Papier gepresst worden waren, sagte mir, dass ich es jetzt zumindest versuchen sollte. Gelassen und in der ruhigen Gewissheit meines Entschlusses ging ich ins Büro, rollte den Papierfetzen zu einer kleinen Kugel und schnippte ihn in den Unrat des Rinnsteins des Broadway von 1886.
Mittags stieg ich die Holztreppe zum Büro unseres Kassierers im Erdgeschoss hinab. Er saß hinter einem schwarzen Metallgitter auf einem hohen Stuhl an seinem Pult, wo er Geld in Empfang nahm oder auszahlte. Als ich an seinem Fenster stehen blieb, vollzog er eine Vierteldrehung, um mich fragend anzublicken. Er trug einen grünen Augenschirm und schwarze Ärmelschoner an den Ellbogen. Ich kannte ihn ein wenig, er hieß Ben.
Ben zählte den Vorschuss, es war zwei Tage zu früh für die Auszahlung, auf meinen Wochenlohn ab, ließ mich unterschreiben und schob das Geld durch eine kleine Öffnung – ein kleines Bündel Geldscheine, zuoberst ein Zehndollarschein der First National Bank of Galesburg, Illinois. Da Ben sie abgezählt hatte, machte ich mir nicht die Mühe, sie nachzuzählen, dankte ihm nur, faltete dann die Scheine und schob sie tief in die Hosentasche. Es waren große Scheine, über fünfzehn Zentimeter lang, viel Papier, es machte mächtig was her und fühlte sich wie richtiges Geld an.
In dem kleinen Textilladen – die Bird Lady hatte den Eingang mittlerweile verlassen – kaufte ich einen Geldgürtel. Der Besitzer des Ladens, ein kleiner
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