Zeitstop 1704
lediglich das leise Rascheln eines Busches, der zur Seite geschoben wurde, und dann umklammerten ihn unvorstellbar kräftige Arme, die seine eigenen an seinen Leib preßten. Die erste Reaktion war Schock und Erstaunen, aber keineswegs Furcht. Sein Körper war trotz seiner Schlankheit ungemein muskulös und zäh.
Wer war sein Angreifer? Seine einzige Waffe waren offenbar seine mächtigen Arme, und er war – nackt!
Fletcher wehrte sich mit aller Kraft, und da er gelernt hatte, ohne Erbarmen zu kämpfen, paßte er seine Gegenwehr der gnadenlosen Absicht seines Gegners an. Als dessen scharfe Zähne sich in seine Kehle bohren wollten, griff er nach den Genitalien des Nackten.
Im Austausch trug er eine blutende, aber glücklicherweise oberflächliche Bißwunde am Hals davon. Der andere heulte vor Schmerzen und ließ los, aber er versetzte Fletcher einen Hieb mit der Handkante.
Der Piratenkapitän schnappte nach Luft, ließ seinerseits los und taumelte rückwärts. Aber es war sein Sieg, denn nun waren seine Arme frei. Er zog den Degen und stieß zum. Am Erzittern des kräftigen Körpers und der folgenden Stille erkannte er, daß er seinen Angreifer getötet hatte …
Licht brannte hinter den Vorhängen des Schlafzimmers seiner Schwester. Fletcher klopfte dreimal kurz, dann noch mal genauso, das war in früherer Zeit das Zeichen zwischen ihnen gewesen. Als junger Bursche, wenn seine Mutter ihm verboten hatte auszugehen, hatte Nathan sich davongestohlen und in den frühen Morgenstunden auf diese Weise am Schlafzimmerfenster seiner Schwester geklopft, die ihn dann durch die Hintertür einließ.
Seinem Klopfen folgte Stille, und erst nach einer Weile wurden die Vorhänge zurückgezogen. Fletcher drückte sein Gesicht an die Glasscheibe, damit die junge dunkelhaarige Frau auf der anderen Seite ihn erkennen konnte. Mit erschrockenem Gesicht bedeutete sie ihm, zur Küchentür zu gehen.
»Seltsame Dinge gehen vor«, murmelte seine Schwester statt einer Begrüßung.
»Was meinst du damit?« fragte Fletcher.
»Im Sumpf wurde gestern die halbverzehrte Leiche eines Mannes gefunden.« Die junge Frau starrte ihn im flackernden Kerzenschein mißtrauisch an. »Wann bist du hier angekommen?«
Fletcher beschrieb genau alle Einzelheiten seiner Reise. Doch während er sprach, dachte er, daß gemäß seiner »Erinnerung« an die Zukunft fünfzig Jahre vergangen waren, seit er diesen letzten Besuch bei Schwester und Mutter gemacht hatte, ehe er einen sicheren Hafen in Italien fand. Wie er sich »entsann«, waren dadurch, daß er in Ungnade gefallen war, seiner Schwester alle Aussichten, einen Gatten zu bekommen, genommen worden. Und der gesellschaftliche Fall der Familie hatte den beiden Frauen sehr zugesetzt. Seine »damalige« Rückkehr hatte deshalb bei Mutter und Schwester sehr gemischte Gefühle geweckt. Doch davon war jetzt noch nichts zu bemerken.
»Dann hattest du also nicht mit dieser halbverzehrten Leiche zu tun?«
»Meine teure Schwester«, sagte Fletcher trocken, »trotz des Schicksalsschlags, der mich traf, verspürte ich nie Appetit auf Menschenfleisch.«
Sie schien ihn gar nicht zu hören, sondern fuhr fort: »Rings um die Leiche fand man ungewöhnliche Spuren eines Tieres. Die Abdrücke waren über einen Meter lang. Welch monströse Kreatur könnte so große Pranken haben?«
Fletcher dachte abrupt an den nackten Mann, den er getötet hatte. Gab es da eine Verbindung? Der Angreifer war von beachtlicher Kraft und Größe gewesen, aber es war wohl doch kaum anzunehmen, daß er so riesige Füße hatte.
Er bemerkte, daß seine Schwester ihn durchdringend musterte. »Hast du dich an deine Religion gehalten, Nathan?« fragte sie.
»Teure Marion«, erwiderte er ruhig, »das ist eine Sache zwischen mir und meinem Gott.«
»Ich hörte Gerüchte – von denen Mutter glücklicherweise verschont blieb –, daß dein Gott in London Spielkarten, Whisky, Opportunismus und oratorische Lügen für Männer waren, die inzwischen aus der Regierung ausgestoßen wurden. Als man sie entließ, bist du verschwunden. Das war vor vier Jahren! Wo hattest du dich inzwischen verkrochen?«
Man hatte ihn gewarnt, daß es unklug wäre, seine Familie zu besuchen, da seine Feinde dadurch auf die Idee kommen könnten, auf ihn durch sie Druck auszuüben. Er hatte sie nicht in Gefahr bringen wollen.
Glatt sagte er: »Es stellte sich als recht günstig heraus, mit Kartenspielern befreundet zu sein. In meiner Notlage bot mir einer von ihnen, ein
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