Zentauren-Fahrt
Tier eine weitere Handvoll Heu zu ver a breichen.
Der Hufer schnappte nach dem Heu und kaute selig darauf he r um, während er immer weiterging. Dann gab er ihm eine weitere Handvoll mit der Linken. Das Tier mußte sich umdrehen, um das Heu schnappen zu können und bewegte sich dadurch ein Stück den Berg empor.
So ging es weiter, bis sie den Berg einmal umrundet hatten. Jetzt waren sie schon ein gutes Stück höher als vorher. Weil er dem Hufer das Heu stets auf der Bergseite reichte, bewegte sich dieser in einer Spiralbewegung nach oben, genau wie Dor es wollte.
Der Sturm hatte sie bereits fast erreicht. Den hatte er nicht tä u schen können! Dor beugte sich vor, drückte die Knie etwas z u sammen, und der Hufer wurde schneller, ohne es zu merken. Durch das größere Tempo umrundeten sie den Berg beim zweiten Mal wesentlich schneller, zumal die Strecke durch die Kegelform des Berges ja auch immer kleiner wurde, je höher sie kamen. Das dritte Mal waren sie noch schneller. Doch Dors Glück, das ohn e hin schon überstrapaziert worden war, ließ ihn im Stich. Er mer k te, daß sein Heuvorrat nicht mehr bis zum Gipfel reichen würde – und der Regen würde sie ohnehin erwischen.
Er machte den kühnen Versuch, aus seiner Schwäche eine Stärke zu machen. »Mein Heu ist bald alle – und der Sturm naht«, sagte er zu dem Hufer. »Du setzt mich wohl besser ab, bevor es glitschig wird. Hat ja keinen Zweck, dich mit meinem Gewicht zu belasten.«
Der Hufer zögerte und dachte darüber nach. Dor half ihm etwas nach. »Irgendwo. Du brauchst mich nicht unbedingt wieder nach unten zu bringen. Vielleicht dort oben auf dem Gipfel, wo ich dir nicht im Weg bin. Ist auf jeden Fall näher.«
Das leuchtete dem Tier ein. In einer immer enger werdenden Spirale trottete es den Hang empor, und Dor stieg, am Gipfel a n gelangt, ab. »Danke, Hufer«, sagte er. »Du hast wirklich schöne Augen.« Seine Erfahrung mit Irene hatte ihn gelehrt, daß es von Vorteil war, weiblichen Wesen Komplimente zu zollen; sie waren alle eitel, was ihr Äußeres anging.
Zufrieden machte der Hufer sich wieder an den Abstieg. Da schlug der Sturm zu. Die Wolke krachte gegen den Gipfel, brach auseinander, und das Wasser strömte aus dem Riß hervor. Rege n schauer gingen nieder und verwandelten die gläserne Fläche in eine Art rutschiges Eis. Der Wind zauste ihn und fegte an dem nade l spitzen Gipfel des Bergs vorbei, der die Wolke aufgeschlitzt hatte, und stieß dabei schrille Schreie aus.
Dors Füße glitten aus, und er mußte die Arme um den schmalen Gipfel schlingen, damit er nicht wieder in die Tiefe rutschte. Auch der Hufer hatte seine Probleme: Er stemmte sich mit allen vieren ab, glitt jedoch trotzdem ein ganzes Stück hinab, bis der sanfter werdende Abhang ihn auffing und er wieder einen festen Stand bekam. Dann duckte er den Kopf, warf seinen Schwanz über die Nase und schickte sich an, im Stehen zu schlafen. Der Sturm konnte ihm nicht wirklich etwas anhaben. Er hatte ohnehin keine Ausweichmöglichkeit. Solange das Tier nicht versuchte, sich u m zudrehen oder in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, war es in Sicherheit. Dor wußte, daß der Hufer nach dem Regenschauer zufrieden wiederkäuen würde.
Dor hatte es also geschafft und auch das letzte Hindernis übe r wunden. Nur – was sollte er jetzt tun? Der Gipfel war glatt, und es gab keinen Eingang. War er die ganze Zeit auf der falschen Fährte gewesen? Das würde bedeuten, daß er sich selbst ausgetrickst hä t te.
Das aus der Wolke herabströmende Wasser war kalt. Seine ze r fetzten Kleider waren durchnäßt, und seine Finger wurden taub. Schon bald würde sich sein Griff lockern, und er würde in den Schleim des Grabens hinabgleiten. Das war beinahe noch schli m mer, als zu erfrieren!
»Es muß hier einen Eingang geben!« keuchte er.
»Natürlich, Holzkopf«, erwiderte der spitze Gipfel. »Du bist aber auch nicht halb so scharfsinnig wie ich! Warum hast du dich denn sonst so abgestrampelt, um hierherzukommen? Etwa um deinen schmierigen Körper zu duschen? Ich hoffe, ich drücke mich nicht allzu spitz aus!«
Ja, warum auch sonst? Er war einfach davon ausgegangen, daß dies der richtige Weg sei, weil es der schwierigste war. »Also gut, du helles Glas – du bist scharfsinniger als ich. Wo ist er?«
»Das brauche ich dir nicht zu sagen«, erwiderte das Glas k i chernd. »Das kann sich doch jeder Idiot ausrechnen, auch wenn er so blöd ist wie du.«
»Ich bin aber nicht irgendein
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