Zero Option: Thriller
lockte zahlreiche Besucher an. Auf dem nahe gelegenen Parkplatz, der eine direkte Anbindung an zwei Hauptstraßen besaß, ging es dementsprechend lebhaft und anonym zu. Wenn Victor anstelle des Überwachungsteams gewesen wäre, er hätte sein Fahrzeug hier abgestellt.
In einer langen Reihe entlang der Westseite des Platzes parkten ungefähr fünfzig Autos. Mit einem Sender hätte Victor einfach nur immer wieder auf die Taste drücken müssen, bis irgendwo ein paar Blinker gezuckt hätten. Ein Herstellername war auf dem Schlüssel auch nicht zu erkennen. Beides war vermutlich als Vorsichtsmaßnahme entfernt worden. Clever gemacht.
Da sie zu viert gewesen waren, musste der Wagen so groß sein, dass sie alle hineingepasst hatten, also eine viertürige Limousine oder ein SUV. Ohne die kleineren Limousinen und die Coupés blieben noch sechsunddreißig Autos übrig. Ein SUV wäre bei einer Verfolgung zu auffällig gewesen, also noch einmal drei weniger. Es handelte sich höchstwahrscheinlich um ein möglichst unauffälliges Fahrzeug, erneut zur Wahrung der Anonymität, also schloss Victor die über zehn- und die unter zweijährigen ebenso aus wie die wenigen Luxuskarossen. Blieben noch sechzehn. Die Farbe war sicherlich dezent, irgendetwas, das nicht sofort ins Auge fiel. Weder Rot noch Weiß noch Schwarz. Da waren’s nur noch sieben. Da das Team nicht aus Weißrussland stammte, hatten sie sich höchstwahrscheinlich einen Mietwagen genommen, mit Markierung und weißrussischen Kennzeichen. Noch drei. Da er bereits gestern hier abgestellt worden war und die Team-Mitglieder alle tot waren, musste er auch einen Strafzettel haben. Noch zwei. Und schließlich: Clevere Agenten parkten immer rückwärts ein, um schneller wegfahren zu können.
Noch einer.
Ein dunkelgrauer Saab, vier Jahre alt, mit einem Autoverleih-Aufkleber auf der Windschutzscheibe. Victor schob den zusammengefalteten Strafzettel in die Tasche und steckte den Schlüssel in das Schloss der Fahrertür. Es sprang auf, und er stieg ein. Mit einem beruhigenden Tschak fiel die Tür wieder ins Schloss. Das Wageninnere war sauber und unauffällig. Victor saß einen Augenblick nur da, die Hände auf das Lenkrad gelegt, und lauschte dem Rauschen des Verkehrs und den vorüberschlendernden Fußgängern. Donner grollte in der Ferne.
Im Handschuhfach war außer dem Geruch nach fettigem Essen, der zweifellos von einem Imbiss-Menü herrührte, nichts zu finden. In der Seitentasche der Fahrertür entdeckte er ein Päckchen mit Pfefferminz-Kaubonbons und steckte sich eins davon in den Mund, während er den Zündschlüssel drehte. Das eingebaute Navigationssystem des Saab erwachte zum Leben, und Victor sah sich den Zielspeicher an. Er war, was ihn kaum wunderte, leer. Die Mietwagenfirma hatte den Speicher vor der Übergabe des Wagens gelöscht, und das Überwachungsteam war vorsichtig genug gewesen, das Navigationssystem gar nicht erst zu benützen, um keine elektronische Fährte zu hinterlassen.
Er entriegelte den Kofferraum und stieg aus. Eine junge Frau mit einem langen blonden Pferdeschwanz stand auf der anderen Seite der Blumenbeete zwischen den Parkbuchten und dem Oktoberplatz. Sie fotografierte mit einer Kompaktkamera den Palast der Republik, dann schaute sie in seine Richtung und lächelte höflich, so wie höfliche Menschen es tun, wenn sie anderen, höflich wirkenden Menschen begegnen. Unhöfliche Menschen blieben in der Erinnerung oftmals besser haften als höfliche, daher erwiderte Victor das Lächeln.
Er spürte, dass sie irgendwie Kontakt zu ihm aufnehmen wollte, vielleicht, um über die Architektur des Palasts der Republik zu plaudern, vielleicht auch, um einige der Informationen aus ihrem Reiseführer loszuwerden. Er wandte den Blick ab, als wäre er jetzt zu abgelenkt, um zu reden, und sie wandte sich wieder ihrer Kamera zu. Er wartete ab, bis sie weggegangen war. Erst dann klappte er den Kofferraumdeckel auf.
Zwei große schwarze Sporttaschen lagen darin. Eine enthielt lediglich ein paar Kabel. In der zweiten lagen winzige Kameras und Mikrofone, wahrscheinlich identisch mit denen, die in der Präsidentensuite des Hotel Europe installiert gewesen waren. Es waren akkubetriebene Funkgeräte, sehr klein, sehr leicht zu verstecken und hochmodern. Dazu fanden sich noch weitere Kabel, Werkzeuge und andere Hilfsmittel zu Überwachungszwecken.
Victor nahm die Tasche und setzte sich wieder auf den Fahrersitz. Der Kilometerzähler stand bei einundneunzigtausend.
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