ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
gelangen. Inzwischen können die letzten Kokainpakete an die Wasseroberfläche schwimmen und ungestört an Bord geholt werden.
Die mexikanischen und kolumbianischen Kartelle stellen ihre unbegrenzte Macht durch einen Schiffstyp zur Schau, den mittlerweile nur sie systematisch einsetzen: das U-Boot. Diese ebenso bizarren wie zweckmäßigen Wasserfahrzeuge symbolisieren das ganze Ausmaß ihres wirtschaftlichen und militärischen Potenzials, aber auch ihren geopolitischen Herrschaftsanspruch. Zwischen Kolumbien und Mexiko verkehrt im Pazifik und mittlerweile auch auf den am stärksten
befahrenen Routen der Karibik bis vor die Küste Floridas heute eine kaum vorstellbare Zahl von Untersee- und Tauchbooten, die tonnenweise Kokain an Bord haben. Die Tauchboote ragen nur siebzig Zentimeter aus dem Wasser heraus, und gerade einmal ein Quadratmeter ihres Rumpfs ist zu sehen; mit einem Schnorchel beziehen sie die für den Dieselmotor nötige Luft.
Bis zu 5000 Kilometer weit können sie so fahren. Die echten U-Boote bewältigen die gesamte Strecke bis zu dreißig Meter unter Wasser und tauchen nur nachts auf, um die Batterien des Motors nachzuladen. Für ein solches U-Boot oder Tauchboot reicht eine Besatzung von zwei bis zwölf Mann, denen jedoch mehr abverlangt wird als nur eine entsprechende Schulung. Nicht umsonst werden diese Boote Särge genannt. Innen sind sie so niedrig und eng, dass man sie liegend steuern muss. Die Hitze ist so unerträglich, dass die Boote den Spitznamen »Bräunungsliege ohne Abschaltknopf« erhalten haben. Vor allem aber ist es keineswegs unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich zu Särgen werden. Niemand weiß, wie viele dieser Boote samt ihrer Ladung und Besatzung schon auf den Meeresgrund gesunken sind - Menschen, denen höchstens ein paar südamerikanische Seemannsfrauen nachtrauern, die überhaupt nichts zu melden haben. Bis zu zehn Tonnen Kokain lassen sich in diesen Booten verstauen; die herkömmlichen Fahrzeuge der Narcos - Fischkutter, Motor- und Schnellboote - haben nur ein Zehntel des Fassungsvermögens dieser U-Boote. Die US-amerikanischen Behörden sind deshalb zunehmend besorgt. Die U-Boote sind so gut wie unauffindbar. Auf den Radarbildschirmen hinterlassen sie nur eine schwache Spur, die sich nie eindeutig einem Unterwasserfahrzeug zuordnen lässt.
Die Drogenbekämpfungsbehörden und die Geheimdienste befürchten, dass hier etwas Ähnliches passiert wie seinerzeit,
als die Fluggesellschaften die alten Boeing-Flugzeuge ausmusterten, um auf moderne Airbus-Modelle umzusteigen, die anfangs für den normalen Passagierverkehr zu teuer schienen. Die U-Boote werden für die Kartelle erschwinglich, und es entstehen ganze Flotten. Zwischen 2005 und 2007 hat die kolumbianische Marine an der Pazifikküste achtzehn dieser Drogen-U-Boote beschlagnahmt, fast dreißig identifiziert und den Bestand auf etwa hundert geschätzt. Doch dieser Zuwachs ist nicht nur auf die gesunkenen Kosten zurückzuführen. Der interessantere Aspekt ist der technologische Fortschritt, der stets demselben Drehbuch folgt. Der Pionier war kein Geringerer als Pablo Escobar. Er rühmte sich, in seiner riesigen Schiffsflotte auch zwei U-Boote zu haben. Der irrationale Wunsch, seinem Beispiel zu folgen und zu zeigen, dass man mit dem legendären Vorbild gleichziehen oder es an Macht und Reichtum sogar übertrumpfen kann, fördert die Innovation.
Die Gelegenheit bot sich, als sich die russischen Mafiosi in Miami niederließen und anfingen, den Kolumbianern Paradestücke aus den sowjetischen Kriegsarsenalen anzubieten.
Fast zehn Jahre lang blieben die U-Boote der Narcos für alle im »Drogenkrieg« eingesetzten amerikanischen Kräfte wie der Fliegende Holländer: Phantome, die immer mal wieder vorbeihuschen, ohne dass man sie zu fassen kriegt. Da kommt leicht der Verdacht auf, dass es sich um Legenden handelt, um Hirngespinste, Seemannsgarn. Doch 2004 gelingt den Behörden ein entscheidender Schlag gegen das Norte-del-Valle-Kartell, das in Kolumbien nach dem Niedergang des Medellm-und des Cali-Kartells die Oberhand gewonnen hat. Sie verhaften rund hundert seiner Mitglieder, die Führungsfiguren werden in die USA ausgeliefert, allen voran Diego Montoya,
»der Radfahrer«. Sie beschlagnahmen Millionen in bar, Goldbarren, Luxusgüter und Immobilien im Wert von 100 Millionen Dollar. Und endlich bekommen sie auch ein U-Boot in die Hand: ein von den Narcos selbst gebautes Fiberglas-U-Boot, das sie bis an die kalifornische
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