ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Sold der apulischen Mafiaorganisation Sacra corona unita oder der neapolitanischen Camorra. Das gängigste Wasserfahrzeug, auf dem in den letzten Jahren Kokainladungen gefunden wurden, ist weder das Fracht- noch das Containerschiff, weder der Fischkutter noch das Motorboot, sondern das Segelschiff: große Katamarane, Holzyachten, Segelboote, die es mit dem Rennboot von Giovanni Soldini aufnehmen können. Traumschiffe, die in der Karibik ankern und Kreuzfahrten von Insel zu Insel durchführen, von einem weißen Strand zum nächsten,
tatsächlich aber für das Abenteuer einer Atlantiküberquerung geeignet sind, von der echte Liebhaber der Ozeane träumen. Doch diejenigen, die am meisten zahlen und es den Skippern ermöglichen, ihrer wahren Berufung zu folgen und ihre profunde Kenntnis der Strömungen und der günstigen Winde unter Beweis zu stellen, wollen gar nicht mit an Bord. Es sind die Broker des Drogenhandels und die Emissäre der kriminellen Organisationen. Aber nicht nur: Es sind auch die Freunde des Sommers, Wohlstandsbürger, die nicht nur konsumieren, sondern auch schnellen Gewinn machen wollen, mit einer einzigen aufregenden Überfahrt, die ihnen Geld, Koks und Nervenkitzel verschafft.
Die Blaus VII ist heute ein Schulschiff der portugiesischen Marine. Ein stattlicher, dreiundzwanzig Meter langer Schoner ganz aus Holz, außen tiefblau lackiert. Er wurde im Februar 2007 hundert Meilen nordwestlich von Madeira aufgebracht. Madeira gehört zu Portugal, liegt aber näher an der nordafrikanischen Küste. Portugiesische Marinesoldaten und Mitarbeiter der Gerichtspolizei fanden an Bord zwei Tonnen Kokain, das in Venezuela aufgegeben und bereits für die Anlandung in Europa umgeschlagen worden war. Sie nahmen die tripulantes fest, in diesem Fall die gesamte Crew: lauter Griechen, außer dem Skipper Mattia Voltan aus dem italienischen Padua. Er war noch keine achtundzwanzig Jahre alt, aber die Blaus VII im Wert von 850 000 Euro war auf seinen Namen eingetragen. Ein Altersgenosse, Andrea, hatte ihn im Auto nach Venedig gefahren, von dort flog er nach Barcelona, und dann ging es weiter nach Portugal, wo Schiff und Mannschaft auf ihn warteten. Andreas Vater hatte ihnen eine Menge Ermahnungen mit auf den Weg gegeben. »Passt gut auf, wo ihr hingeht«, mahnte er am Telefon aus Dubrovnik, wo er mit dem jüngeren Sohn
Alessandro lebt und zwei Firmen betreibt. Einer von vielen italienischen Unternehmern, die nach Osteuropa aufgebrochen sind. Er möchte wissen, ob Mattia einen guten Eindruck macht, und Andrea beruhigt ihn mit der überängstlichen Eltern gegenüber typischen Unduldsamkeit: »Er hat sich rasiert, und ich habe ihm die Haare geschnitten. Ich bin selber nach Hause gegangen, um den Haarschneider zu holen.«
Die Sorge von Andreas Vater, Antonio Melato, gegenüber dem blutjungen Skipper, den er engagiert hat, ist verständlich, aber es ist nicht Mattias Schuld, wenn die Blaus VII gestoppt wird. Nach seiner Freilassung kehrt der junge Mann nach Padua zurück, um sein sorgloses Leben weiterzuführen. Andrea sagt seinem Vater, er habe Mattia gesehen, diesen Trottel. »Das ist nicht dein Ernst!«, platzt es aus dem Vater heraus. »Dieser Typ ist für uns nicht in Ordnung.« Aber er braucht sich nicht über andere aufzuregen: Es ist nämlich sein Telefon, das abgehört wird.
Melato ist nur ein Mosaiksteinchen in den Ermittlungen, die von den Carabinieri der Sondereinheit ROS geführt und von der Antimafiastaatsanwaltschaft Mailand koordiniert werden und halb Europa, die Karibik und Georgien betreffen. Im Juni 2012 wird er zusammen mit seinen Söhnen und weiteren Mitgliedern eines Netzwerks verhaftet, das Bulgarien, Spanien, Holland, Slowenien, Rumänien, Kroatien, Finnland, und Italien mit Venetien, Piemont und der Lombardei umspannt. Nach siebenjährigen Ermittlungen werden dreißig Personen festgenommen und sechs Tonnen Kokain beschlagnahmt. Der Name der Operation, Magna Charta, bezeugt einen guten Schuss Ironie, spielt er doch nicht nur auf das vom englischen König Johann Ohneland unterzeichnete Dokument an, sondern auch
auf die Flotte der Charterschiffe, die für den Drogentransport angeheuert werden.
Ihren Ausgangspunkt jedoch nahm die Operation nicht auf hoher See, sondern mit ganz gewöhnlichen Maßnahmen im Kampf gegen die Mafia. 2005 entdeckten die Carabinieri von Turin, dass die ’ndrina Bellocco und die anderen Familien aus dem kalabrischen Rosarno den Piemont über einen ungewöhnlichen bulgarischen
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