ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
festgenommen wurde; oder der bretonische Skipper Stephane Colas, der nach zwei Jahren Haft in Spanien 2011 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde; in den Trinkwassertanks für die Überfahrt aus Venezuela hatte man 400 Liter flüssiges Kokain gefunden. Alle diese Leute waren laut den Ermittlungen effiziente Strohmänner und auch Sündenböcke. Auf die Nationalität kommt es nicht an, aber es ist vorteilhaft, wenn Lebenslauf sowie soziale und geographische Herkunft zugunsten dieser leidenschaftlichen Segler sprechen und die eventuellen Richter sich somit leichter davon überzeugen lassen, dass die Angeklagten irrtümlich zu Drogenkurieren geworden sind. Die Beweislage ist oft zu dürftig, um ohne eine spezifische Gesetzgebung vor Gericht Bestand zu haben, und in den Herkunftsländern der Angeklagten stellt sich die Öffentlichkeit - wie im Fall des bretonischen Skippers -hinter deren Unschuldsbeteuerungen.
Dennoch: Wenn ich an Kokain denke, erscheinen vor meinem geistigen Auge nicht in erster Linie die wendigen Boote, die den Ozean durchpflügen, sondern etwas Greifbareres, Allgegenwärtiges, Elementares: die Ware, die Ware schlechthin, die wie ein Magnet alle anderen Waren anzieht. Sie ist der Ertrag anderer Erträge, der einzige Parasit, der den Wert des Fleisches, in das er sich eingenistet hat, tausendfach vermehrt, vielgestaltiger Vektor des Profits eines jeden Handels. Ich sehe die aufeinandergestapelten Container im Hafen von Neapel, das Gelb der MSC, das Grau der Cosco, das blaue Logo von Maersk, das Grün von Evergreen, das Rot der »K«-Line und alle die anderen riesigen Legosteine, die von den Kränen auseinandergenommen und zu neuen Gebilden zusammengesetzt werden. Die reine Geometrie, die grundlegende Farbenlehre, die all das verbirgt und umschließt, was verkauft, gekauft und konsumiert werden kann. Und alles oder beinahe alles kann als unfreiwilliges oder williges Wirtstier für den weißen Stoff dienen.
Es mag paradox scheinen, aber selbst die bestversteckte Ware kommt nicht ohne ein eigenes Logo aus. Das Branding wurde erstmals bei Tieren angewendet, die gebrandmarkt wurden, um sie von denen anderer Herden zu unterscheiden. So werden die Päckchen Kokain gekennzeichnet, um ihre Herkunft zu belegen, aber auch um jede Partie zum richtigen Käufer zu leiten, wenn die großen Broker Megaladungen an mehrere Empfänger auf den Weg bringen. Beim Kokain ist das Logo in erster Linie ein Symbol für Qualität. Es geht dabei nicht um einen inhaltsleeren Werbeslogan, sondern um eine grundlegende Funktion: Die Marke schützt die Unversehrtheit jedes einzelnen Pakets, und die Narcos garantieren damit, ausschließlich reinen Stoff zu exportieren. Der gute Ruf des Kartells steht im Vordergrund. Er ist wichtiger als das Risiko, leicht zurückverfolgt werden zu können, falls die Ladung einmal in die falschen Hände gerät: ein ganz normales Unternehmensrisiko. Es ist auch kein Zufall, dass die Händler häufig die Logos der bekanntesten und begehrtesten Marken verwenden. Ihre anonyme Ware ist letztlich das Genussmittel schlechthin; und sie ist so viel wert wie alle Markenprodukte zusammengenommen, die die Leute überall auf der Welt kaufen oder von deren Erwerb sie träumen.
Auf Päckchen, die die Finanzpolizei von La Spezia im August 2011 im doppelten Boden von zehn Autos bei Aulla in der Provinz Massa Carrara gefunden hat, waren ein Skorpion oder eine Dame aufgeprägt. Die größte je in Italien beschlagnahmte Menge und die viertgrößte in Europa. Die Finanzpolizisten schöpften bei der Kontrolle einiger Container Verdacht, die aus Santo Domingo kommend im Hafen von La Spezia verzollt werden sollten. In einem fanden sie hinter einer doppelten Wand 750 Päckchen, beschlossen aber, alles unversehrt zu lassen und den Container als Köder durchzulassen. Die Symbole auf den Päckchen ließen darauf schließen, dass es sich nur um den kleinen Teil einer weitaus größeren Ladung handelte: Der Skorpion zeigt den für Nordeuropa bestimmten Teil an, die Dame den Teil für Mitteleuropa. Weil das Zeichen weniger die Unterschrift des Absenders darstellt als vielmehr eine Art
Postleitzahl des Empfängers, ist der Skorpion eines der Symbole, die am häufigsten auf den Kokainpäckchen anzutreffen sind. Das gigantische Geschäft wurde von einer der ältesten und erprobtesten Allianzen eingefädelt: dem kolumbianischen Norte-del-Valle-Kartell und den Familien von Gioia Tauro. Die Kalabresen finden sich mit dem Verlust einer so
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