ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
soziale Position zu stärken. Dank El Tigre schafft sie einen Qualitätssprung und kann jetzt direkt mit den kolumbianischen Lieferanten verhandeln. Sie, die Nichte des Padrino, wird zur Königin, »la Reina«. La Reina del Pacifico macht sich die Vorurteile zunutze. Eine Frau ist schwach, also lohnt es sich nicht, sie zu bedrohen: Für La Reina bedeutet dies Bewegungsfreiheit. Eine Frau ist unfähig, mit Männern zu verhandeln: La Reina nutzt die Befangenheit der Emissäre der Kartelle gegenüber dieser schönen Frau mit dem freizügigen Dekollete aus.
Jetzt müssen alle vor ihr in die Knie gehen und ihr die Ehre erweisen. Von ihrer luxuriösen Operationszentrale in Guadalajara aus koordiniert sie die aus Kolumbien kommenden Ladungen und wäscht die von Jahr zu Jahr steigenden Gewinne. Das
Geld dient dazu, ihren ehrgeizigsten Plan zu erfüllen: den Frauen Macht zu geben. Die Frauen verdienen der Königin zufolge mehr Anerkennung und Respekt, und der schnellste und sicherste Weg, dies zu erreichen, ist ihre Schönheit. Sie investiert die Kokaingewinne in luxuriöse und weniger luxuriöse Schönheitskliniken, weil alle Frauen das Recht auf einen Liebhaber und einen Ehemann, auf einen Arbeitsplatz und eine entsprechende soziale Stellung haben. La Reina investiert in materielle Werte. In den Körper und in Immobilien. Brüste und Häuser. Pobacken und Villen. Makellose Haut und Wohnungen. Ein Reich, das expandieren und lebenswichtiges Terrain erobern soll. Von ihrem Thron aus herrscht La Reina über ein Heer von Männern, die in der Hierarchie nur bis zu einer gewissen Ebene aufsteigen können, denn ganz oben ist sie, die unangefochtene, schweigsame Königin, die sich nie exponiert, sich nie die Hände schmutzig macht und es schafft, dass ihr Name weder in der Zeitung erscheint noch gar in Polizeiakten auftaucht.
Doch eines Tages ändert sich alles. Im Hafen von Manzanillo im mexikanischen Bundesstaat Colima am Pazifik ist gerade eine wichtige Ladung eingetroffen. Zehn Tonnen Kokain im Wert von über 80 Millionen Dollar. Die Behörden beschlagnahmen den Stoff. Zum ersten Mal taucht der Name der Königin in den Medien auf. Jetzt ist sie öffentlich bekannt, und vielleicht ist es kein Zufall, dass ein paar Monate später ihr einziger Sohn, der im exklusiven Viertel Puerta de Hierro in Guadalajara lebende sechzehnjährige Jose Luis Fuentes Avila, entführt wird und für seine Freilassung fünf Millionen Dollar gefordert werden. La Reina gerät in Panik. Der einzige echte Mann ihres Lebens befindet sich in den Händen gnadenloser Mörder, die damit drohen, ihm bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen.
Sie wendet sich an die Behörden: ein schwerer Fehler, denn von nun an werden ihre Telefonate von der Polizei überwacht und sie selbst observiert. So kommt ans Licht, dass das Lösegeld von El Mayo Zambada bezahlt wurde, da die Königin nach der Beschlagnahmung der Ladung im Hafen von Manzanillo knapp bei Kasse ist.
Während La Reina ihren Sohn nach siebzehn Tagen Gefangenschaft wieder in ihre Arme schließt, erklärt der Chef der mexikanischen Bundesermittlungsbehörde AFI, Juan Carlos Ventura Moussong, er habe Beweise, wonach die Entführung inszeniert war, um die Macht der Königin zu schwächen. Ist es glaubhaft, dass man den Sohn eines der mächtigsten Bosse einfach so kidnappen kann? Laut Moussong sind die Verantwortlichen unter den Männern der Königin zu suchen, die ein unabhängiges Mikrokartell aufbauen und sich vor allem diese Frau vom Hals schaffen wollen. Ein begründeter Verdacht des Leiters der AFI, der kurz darauf beim Verlassen einer Besprechung mit anderen Leitern des Distrikts auf offener Straße erschossen wird.
Die Macht, die dem Körper eingeprägt ist, bleibt unbezwingbar, auch wenn man sich hinter den Mauern des Frauengefängnisses von Santa Martha Acatitla an der Peripherie von Mexico City befindet. Hier landet die Königin des Pazifiks nach der Verhaftung in einem thailändischen Luxusrestaurant, wo sie mit ihrem Lebensgefährten El Tigre speiste. Jahrelang bewegte sie sich inkognito und unter falschem Namen. Nach der Entführung ihres Sohnes waren die Dinge für sie schwieriger geworden, aber auf gutes Essen und die neuesten Kreationen von Chanel kann sie nicht verzichten. Im Gefängnis setzt sie ihren Kampf für die weibliche Emanzipation fort. Ihren Zellengenossinnen bringt sie bei, dass man auch an einem solchen Ort
Körper und Stil nicht vernachlässigen darf. »Verlierst du deinen
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