ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
darf nicht reden. Die Zeit steht still, die Akteure halten sich gegenseitig in Schach, ohne allzu sehr die Muskeln spielen zu lassen. Ein falscher Schritt, und was aussieht wie eine Verhandlung, kann in einem Blutbad enden. Dann wagt der FBI-Agent einen Vorstoß: »Wenn du uns nicht gehen lässt, wird die Regierung der Vereinigten Staaten dich bis an dein Lebensende jagen.« Und Osiel gibt nach. Er brüllt die Gringos an, dies sei sein Terrain, wo sie nichts zu suchen hätten, und sie sollten sich nie wieder hier blicken lassen. Dann befiehlt er seinen Männern, den Rückzug anzutreten. Der FBI- und der DEA-Agent atmen erleichtert auf.
Es ist der Anfang vom Ende. Die US-Behörden setzen eine Belohnung von zwei Millionen Dollar auf Osiels Kopf aus. Osiel wird paranoid. Er sieht überall Feinde. Auch seine engsten Mitarbeiter könnten madrinas sein, Informanten. Um seine militärische Schlagkraft zu erhöhen, beschließt er, sich eine Armee zu kaufen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wählt er korrupte Soldaten und Mitglieder der Eliteeinheit GAFE (Grupo Aeromovil de Fuerzas Especiales) der mexikanischen Armee.
Ironie des Schicksals: GAFE hat die Aufgabe, Verbrecher wie ihn aufzuspüren. Die Mitglieder dieser Einheit sind abgebrühte Typen. Sie wurden nach dem Vorbild der US-Streitkräfte ausgebildet und von israelischen und französischen Spezialisten in subversiven Taktiken geschult. Zu diesen mexikanischen Rambos zählt auch Leutnant Arturo Guzman Decena, der mit Osiel gewisse Charakterzüge teilt: Er ist zynisch, ehrgeizig und gnadenlos. Zusammen mit dreißig weiteren Deserteuren lässt er sich von Osiel anheuern. Die Soldaten, deren Aufgabe es war, den Drogenhandel zu bekämpfen, schwören demjenigen Treue, der kurz zuvor noch ihr Feindbild verkörperte. Der Freundesmörder zahlt besser als der mexikanische Staat. So entsteht Osiels Privatarmee Los Zetas (»Z«), benannt nach dem Codebuchstaben, den die GAFE-Soldaten für die Kommunikation per Funk nutzen. Leutnant Arturo Guzman Decena wird Z 1.
Die nun einsetzende Gewalt gleicht einem programmierten Zelltod. Im gemarterten Mexiko sind die Zetas eine Zelle, die sich selbst zerstört, um sich neu aufzubauen: stärker, mächtiger, zerstörerischer. Die Eskalation der Greueltaten erhöht den nationalen und internationalen Druck, Osiel Cardenas möglichst schnell zu verhaften. Das geschieht am 14. März 2003 nach einem Feuergefecht mit der mexikanischen Armee in Matamoros. Osiel kommt ins Gefängnis von La Palma. Doch selbst hinter den Gittern eines Hochsicherheitsgefängnisses ist seine Führung unumstritten. Im Gefängnis kommt es zu einer Allianz zwischen dem Golf- und dem Tijuana-Kartell. Doch auch als Osiel aus seiner Zelle heraus noch das Kommando führt, ist er letztlich nicht imstande, seine Männer und vor allem die Zetas unter Kontrolle zu halten, die sich immer mehr selbständig machen und die brutalsten Praktiken der
paramilitärischen Einheiten, der Mafia und der Drogenbarone übernehmen.
Es militärisch mit den Zetas aufzunehmen ist schwierig. Sie haben schusssichere Westen, einige tragen Helme aus Kevlar, und in ihrem Arsenal befinden sich Sturmgewehre vom Typ AR-15 und Tausende von cuernos de chivo (Ziegenhörner, wie sie ihre Kalaschnikows nennen), Maschinenpistolen vom Typ MP5, Granatwerfer, Splitterhandgranaten, wie sie im Vietnamkrieg verwendet wurden, Luftabwehrraketen, Giftgasmasken, Nachtsichtgeräte, Sprengstoff und Hubschrauber. Im Februar 2008 werden bei einem Überfall der Armee auf das Gehöft El Mezquito vor den Toren von Miguel Aleman hundert Kilometer westlich von Reynosa 89 Sturmgewehre, 83 355 Patronen und andere Munition sowie Sprengstoff entdeckt, mit dem man ganze Gebäude in die Luft jagen kann. Die Professionalität der Zetas ist enorm, und sie bedienen sich eines hochmodernen Abhörsystems. Ihr technisches Wissen macht sie unangreifbar, denn sie verwenden verschlüsselte Funksignale und Skype anstelle von normalen Telefonen.
Sie sind streng hierarchisch organisiert. Jede plaza hat einen Boss und einen Geschäftsführer. Er ist für die Finanzen der kriminellen Zelle zuständig, die neben dem Drogenhandel auch andere Nischen der kriminellen Wirtschaft besetzt: Diebstahl, Erpressung, Entführung. Mexikanischen und US-amerikanischen Quellen zufolge gibt es innerhalb der Zetas streng getrennte Arbeitsbereiche:
- die Fenster, las Ventanas: Kinder, die warnen, wenn Polizisten an den Drogenumschlagplätzen auftauchen;
- die
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