Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
Vom Netzwerk:
bewegen. Er kann unter widrigsten Bedingungen überleben und kommt in Peten im Norden Guatemalas ebenso zurecht wie im Süden Mexikos, zwei Regionen mit ähnlichen klimatischen Bedingungen. Noch besorgniserregender wird die Situation dadurch, dass die guatemaltekische Armee in den letzten Jahren im Zuge einer Demobilisierung von 30 000 auf 15 000 Soldaten geschrumpft ist. Viele Soldaten wurden mit einer Abfindung aus der Armee entlassen und sind jetzt arbeitslos. Einige haben bei privaten Sicherheitsfirmen Arbeit gefunden und wurden als Söldner ins Ausland geschickt, unter anderem in den Irak. Andere wurden von kriminellen Zellen rekrutiert.
    Angel Miguel reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, als drehte er eine Zigarette, und in seinen Augenwinkeln haben sich kleine Fältchen gebildet, die ich vorher nicht bemerkt habe. Auch seine Freundin steht nicht mehr wie versteinert da. Sie schaut sich um und kräuselt nervös die Lippen.
    Mit meinen Fragen habe ich die Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt. Denn für Angel Miguel bin ich ein Untergebener, der beseelt den Worten seines Vorgesetzten zu lauschen hat. Vor unserem Treffen hatte mir Angel Miguel am Telefon eine Liste von Grundprinzipien ans Herz gelegt, die in meinen Augen reine Propaganda waren. Doch jetzt, angesichts seiner Schweigsamkeit und Beherrschtheit, wird mir klar, dass ich gegen diese Grundprinzipien verstoßen habe. Ein Kaibil muss »sich das Vertrauen seiner Untergebenen verdienen, er muss ihre Bemühungen in eine bestimmte Richtung lenken, sie über ihre Ziele aufklären und ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Er muss die Eintracht der Teams fördern, ein Vorbild für Mäßigung in jeder Situation sein, die Hoffnung am Leben erhalten und sich für den Sieg opfern.« Zwei einfache Fragen zur Vergangenheit und zur Gegenwart der Kaibiles haben verhindert, dass er auch mich indoktriniert.
    Grausamkeit kann man lernen, das weiß ich jetzt sicher. Angel Miguel dreht nicht mehr seine imaginäre Zigarette, und auch die Fältchen in seinen Augenwinkeln sind verschwunden. Seine bernsteinfarbene Haut ist wieder glatt. Die durch meine Fragen entstandene Irritation hat er dadurch überwunden, dass er seine Zugehörigkeit zu einer Bruderschaft des Blutes und des Todes bekräftigt hat.
6 Z
    Die Begegnung mit Angel Miguel fand ich etwas enttäuschend. Er hat mir von der Grausamkeit erzählt und die Erziehung zur Gewalt in fesselnden Anekdoten geschildert. Aber letzten Endes hat er nur eine Rolle gespielt, die Rolle des einstigen Kämpfers, der die goldene Zeit seiner Ausbildung wiederaufleben lassen möchte. Doch das reicht mir nicht. Ich möchte mit meinen Händen in die Grausamkeit eintauchen, dort herumwühlen, wo es am meisten wehtut, und sehen, was mir an den Fingern kleben bleibt. Denn wenn man Grausamkeit tatsächlich lehren und erlernen kann, muss ich sie in Aktion sehen. Um zu verstehen, wie sie funktioniert und wie wirkungsvoll sie sein kann. Ich möchte dorthin zurückkehren, wo die Grausamkeit Wurzeln geschlagen und sich ausgebreitet hat, wo sie Bedingungen vorgefunden hat, unter denen sie zu einem Machtinstrument werden konnte. Ich möchte nach Mexiko zurückkehren. Zu Osiel Cardenas Guillen, dem Boss des GolfKartells.
    Osiel ist bekannt dafür, dass er keine Fehler macht und keine Fehler verzeiht. Aber am Ende macht auch er einen Fehler, ausgerechnet gegenüber den falschen Leuten. Es ist November 1999, und zwei Fahnder der DEA und des FBI, Joe DuBois und Daniel Fuentes, sitzen in einem Ford Bronco mit Diplomatenkennzeichen. Der Informant des Golf-Kartells ist auf dem Rücksitz eingeschlafen, die Stirn ans Fenster gepresst. Er hat die beiden Agenten auf einer Rundfahrt zu den Häusern und
    Lokalen der Bosse des Golf-Kartells in Matamoros begleitet. Sie haben die Gegend ausgekundschaftet. Plötzlich bremst der Ford Bronco scharf ab, und von draußen sind bekannte Stimmen zu hören. »Das ist unser Mann, Gringos!« Im Nu ist das Auto der Agenten von Fahrzeugen umstellt, aus denen ein Dutzend Mitglieder des Kartells mit AK-47-Sturmgewehren im Anschlag aussteigen. Dann verlässt Osiel seinen Jeep Cherokee, geht mit gezogener Waffe auf das Fenster eines der beiden Agenten zu und hält ihm die Pistole ins Gesicht. Daraufhin geben sich die Amerikaner zu erkennen und zeigen ihre Dienstmarken. Aber Osiel interessiert es nicht, wer sie sind. Es ist das erste Mal, dass er sich so exponiert, er weiß, es ist riskant, aber er hat keine Wahl: Der Informant

Weitere Kostenlose Bücher