ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
AUC waren darauf bedacht, ihr Image als aufrechte kolumbianische Patrioten zu wahren und nicht als skrupellose Kriminelle abgestempelt zu werden. Sprachrohr der Ehrbarkeit der Autodefensas war Comandante Carlos Castano. Wenn
jemand seine Männer als Narcos brandmarkte, ging er an die Decke und dementierte empört. Selbstverständlich dementierte er auch alle anderen Vorwürfe. »Wir haben nie Unschuldige getötet. Wir wenden uns nur gegen die Guerilla, nicht gegen Leute, die anders denken als wir. Wir verwenden keine Kettensägen.«
Das war nicht nur zynische Heuchelei. Wie viele autoritäre Persönlichkeiten lebte auch Carlos Castano in einer der Realität enthobenen Welt, die er wahnhaft gegen alles verteidigte, was ihr widersprach. Am meisten ärgerte ihn der Vorwurf, er würde den Drogenhandel stillschweigend dulden - eine merkwürdige Sicht der Dinge, da seine Brüder ihre Finanzen seit jeher mit Kokainschmuggel aufbesserten. Doch genau darauf beruhte sein Lügengebäude, dass Kokain nicht das Ziel, sondern nur Mittel zum Zweck sei. Mit demselben Argument rechtfertigte sich auch die Guerilla, deren Motive allerdings zum Teil glaubwürdiger waren.
Doch die zunehmende Größe seiner Organisation war der beste Gegenbeweis. In manchen Regionen konnte man die Narcos und die Paramilitärs nicht mehr auseinanderhalten, auch nicht in Medellin. Daniel Mejia war zur rechten Hand des blutrünstigen Bosses Don Berna aufgestiegen, der die Reste von Escobars Imperium an sich gerissen und sich dann der Einfachheit halber den AUC angeschlossen hatte. Danielito sollte als Boss des neuen Kartells Oficina de Envigado einmal seine Nachfolge antreten. Gemeinsam mordeten sie wie in jedem anderen Drogenkrieg: um durch die Verbreitung von Angst und Schrecken Macht zu gewinnen und die Konkurrenz auszuschalten.
Um all dies zu verschleiern, ersann man den neuen Plan. Danielito begann Verbrennungsöfen zu bauen, in denen bis zu zwanzig Leichen pro Woche verschwanden. Nach Aussagen
ehemaliger AUC-Soldaten hatte man auch Julio Fierros Leiche in einem dieser Öfen verbrannt. Es ist eine bittere Rache des Schicksals, dass Daniel Mejia selbst in diesem Ofen verschwand, nachdem er von einem anderen ehemaligen Paramilitär getötet worden war, mit dem gemeinsam er das Kommando des Kartells Oficina de Envigado geführt hatte.
Etwa zur Zeit der Entführung und Ermordung von Natalia Paris’ Ehemann kann Carlos Castano sein Missbehagen nicht mehr verbergen. Er spart sich den Umweg über Baruch Vega und nimmt direkt Kontakt zu dem Anwalt in Miami auf, der bei den Verhandlungen mit der DEA beteiligt ist und später El Mono verteidigen wird. Auch Carlos Castano hat jetzt eine junge Ehefrau und außerdem eine kleine Tochter, die an einer seltenen genetischen Krankheit leidet. Nur in den Vereinigten Staaten kann sie erfolgreich behandelt werden.
Doch Carlos Castano ist noch zu sehr Kommandant, als dass er ohne zu zögern beschließen würde, seine Familie in Sicherheit zu bringen. Am 10. September 2001 wird er von dem Land, das er stets bewundert hat, als Anführer einer Terrororganisation, als Terrorist und Drogenhändler gebrandmarkt. Diesen unerträglichen Makel muss er tilgen, er muss sich selbst und seine Autodefensas reinwaschen. Anfang 2002 ruft er daher rund hundert Kommandanten aus allen Teilen des Landes zusammen. Er hat seine Ansprache gut vorbereitet und vertraut auf sein Ansehen und sein Charisma. Nach dem, was in New York und Washington passiert ist, werden uns die Yankees wie die Ratten jagen, sagt er. Wir können es uns nicht länger leisten, Massaker zu begehen. Nur wenn wir aus dem Drogenhandel aussteigen, können wir das Überleben unserer Organisation sichern und ihre Ehre retten.
Das Schweigen, mit dem seine Worte aufgenommen werden, ist kein Schweigen des stummen Einverständnisses. Der Co-mandante begreift, dass viele nicht die Absicht haben, ihm zu folgen - eine Niederlage, die ihn so schmerzt, dass er von der Leitung der AUC zurücktritt. Carlos Castano ist jetzt wie ein verwundeter Jaguar im kolumbianischen Dschungel. Er schlägt mit seinen Pranken um sich, gibt im Internet die Namen einiger seiner ehemaligen Untergebenen preis und wirft ihnen vor, »in unverantwortlicher Weise in den Drogenhandel verwickelt zu sein«. Die Beteiligung einiger Autodefensas-Gruppen am Drogenhandel sei »nicht hinnehmbar und den US-amerikanischen und kolumbianischen Geheimdiensten bekannt«.
Eine Treibmine, eine tödliche Gefahr.
Er wolle
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