Zerstörte Seelen
ein. «Das war die Frau, die ich anrufen sollte, Virginia Cavanaugh. Sie lagen richtig mit dem Tunnel.»
«Tunnel?», fragte Coop.
Davon hatte Darby ihm in der Kürze der Zeit noch nichts sagen können.
Sergey drehte den Computermonitor auf dem Arbeitstisch zu ihnen. Eine Satellitenaufnahme zeigte das Dach des früheren Rizzo-Hauses in Brookline zwischen Baumkronen voller buntem Herbstlaub. Darby kniete sich vor die Arbeitsplatte und hielt sich an der Kante fest.
«Hier wohnten die Rizzos.» Sie zeigte auf das Haus und ließ dann den Finger diagonal über die Baumwipfel bis zum Dach eines gewaltigen dreigeschossigen Wohnhauses im Tudorstil wandern. «Das hier gehört Virginia Cavanaugh, der früheren Nachbarin der Rizzos. Zwischen den beiden Häusern gibt es einen Tunnel aus der Zeit der Prohibition.»
«Wie du aus deinen jungen Jahren als Schnapsschmugglerin weißt?», fragte Coop.
«Damals, während der Arbeit am Rizzo-Entführungsfall, erzählte mir irgendein Polizist oder Detective, dass die Häuser der Rizzos und Cavanaughs früher beide im Besitz einer irischen Großfamilie waren, die dort einen Holzhandel betrieb. Während der Weltwirtschaftskrise wurde dann das Geld für den Unterhalt der etwa zwanzig Kinder und Enkel knapp.»
«Für irische Begriffe eine ziemlich übersichtliche Kinderschar.»
«Stimmt. Dieser eher kleine, aber sehr geschäftstüchtige irische Clan musste sich nun notgedrungen eine weitere Einnahmequelle suchen. Kleiner Tipp: Sie bauten keine Kartoffeln an.»
«Alkohol.»
«Korrekt. Sie brannten in ihrem Keller Schnaps und brauten Bier. Die großen Fässer rollten sie anschließend durch den Geheimgang zum Cavanaugh-Haus. Und jetzt frag mich, warum.»
«Warum?»
Darby grinste. Sie hatte das freundschaftliche Geplänkel mit Coop vermisst und genoss diese kleine Flucht vor der Schwere und Trauer, die die Gespräche mit Casey und Sergey in ihr hinterlassen hatten.
Darby setzte sich wieder. «Das Cavanaugh-Haus war der Sitz der Holzhandlung der irischen Familie. Im Haus waren die Geschäftsräume, im Hof lagerte das Holz, das sie verkauften. Ein perfekter Ort, um illegalen Alkohol zu verladen. Ein paar Lastwagen mehr oder weniger fielen kaum auf.»
Coop hob die Hand. «Frage: Woher weißt du, dass der Tunnel noch existiert?»
Darby sah Sergey an.
«Virginia Cavanaugh», sagte Sergey. «Die Frau ist schon über achtzig. Sie sagte mir, dass sich das Haus, in dem früher die Holzhandlung war, seit drei oder vier Generationen im Familienbesitz befindet. Es wird immer innerhalb der Familie weitervererbt, allerdings mit der Auflage, dass es nicht verkauft werden darf.»
«Clever», sagte Coop.
«Mrs. Cavanaugh erzählte, ihr Onkel hätte sie einmal mit in den Tunnel genommen. Sollte wohl eine Art Geschichtsstunde für sie sein. Sie nimmt an, dass der Gang immer noch begehbar ist. Aber mit Sicherheit wissen wir das erst, wenn wir dort sind.»
«Und spielt sie auch bei der anderen Sache mit?», fragte Darby.
«Aber sicher! Das alte Mädchen findet es anscheinend sehr spannend, dem FBI bei einer Ermittlung helfen zu können. Außerdem habe ich das Gefühl, dass sie ihre Nachbarn nicht besonders mag.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Sie nannte sie Schlitzaugen.»
«Klingt nicht nach einer innigen Freundschaft», sagte Coop.
Darby beugte sich vor und sah Sergey an. «Sie wollten mir noch etwas erzählen: Wie kam Casey darauf, dass hinter den Entführungen eine Gruppe steckt?»
«Okay. Ich gebe Ihnen die Kurzversion: Casey wurde als Profiler zu den Ermittlungen in einer Entführungsserie im Großraum Los Angeles hinzugezogen. Die Serie erstreckte sich damals über sieben Jahre. Das war ’81. Elf Opfer, alles Kinder. Das jüngste war sechs, das älteste zwölf. Sie kamen aus sehr unterschiedlichen Kreisen – hatten wohlhabende Eltern, arme Eltern, Eltern aus der Mittelschicht. Und auch die Hautfarbe schien keine Rolle zu spielen. Schwarz, weiß … es war alles dabei. Die Jungen und Mädchen wurden alle von irgendwo außerhalb ihres Hauses oder ihrer Wohnung verschleppt. Es ging immer schnell, fast spurlos und ohne Zeugen.
Nach der Auswertung sämtlicher Fakten stellte Jack fest, dass die Opfer immer die jüngsten Familienmitglieder waren. Elf Entführte, viele davon hatten Geschwister, aber gekidnappt wurde immer das jüngste Kind. Eine andere Gemeinsamkeit schien es nicht zu geben.»
Das Wandtelefon klingelte. Sergey nahm den Anruf entgegen, hörte kurz zu, sagte dann «Okay»
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