Zerstörter Traum vom Ruhm
und vergeblich darüber nachgrübelte, wie die Zeitung in Julias Hände gekommen war, rannte Prof. Dr. Seberg durch den Garten und beugte sich nach einer kurzen Begrüßung über die noch immer regungslose Julia. Er maß den Blutdruck, den Puls, untersuchte die Herztöne und prüfte die Reflexe. Dann zog er ein kreislaufstärkendes Mittel in die Spritze auf und injizierte es intravenös.
»Es ist ein sehr starker Schock«, sagte Prof. Seberg ernst und fühlte wieder den Puls und hörte das Herz ab. »Sie muß etwas gehört oder erlebt haben, was sie ungeheuer erschütterte.«
»Ist – ist – es ernst?« stotterte Opperberg. Er war am Ende seiner Selbstbeherrschung.
Prof. Seberg hob die Schultern. »Ein Schock ist immer eine sehr ernste Angelegenheit. Bei der nervlichen Sensibilität Julias kann es zu einer Kreislaufschwäche kommen. Kann. – Wie ist es eigentlich geschehen?«
»Sie hat eine Zeitung gelesen.« Opperberg sah die Zeitung noch immer auf der Erde liegen. Er hob sie auf und gab sie Prof. Seberg. »Da – dieser Artikel. Ich habe seit Tagen auf ihn gewartet und die Zeitungen immer nur vorgelesen. Und ausgerechnet diese Ausgabe muß sie selbst lesen.«
Prof. Seberg überflog schnell den Artikel. Verwundert blickte er zu Opperberg und auf die regungslose, wie tot daliegende Julia.
»Was haben Sie mit diesem Heiratsschwindler Poltecky zu tun, Herr Konsul?«
»Er ist kein Heiratsschwindler. Seine Geschichte ist zu verrückt, um sie mit ein paar Worten zu erzählen.«
»Aber Sie kennen ihn! Und Fräulein Julia?«
»Poltecky hat es fertiggebracht, daß Julia nach Jahren wieder lachte. Dafür danke ich ihm ewig.«
»Und jetzt hat sie einen Schock durch ihn bekommen. Sie hat sich doch nicht etwa in diesen Poltecky …?«
Er sprach die Frage nicht zu Ende, aber Opperberg verstand ihn und hob die Schultern.
»Es ist möglich. Ich bin bereit, alles herzugeben und jedes Opfer zu bringen, wenn Julia glücklich wird. Selbst diesen Poltecky nehme ich bei mir auf.«
»Herr Konsul!« rief Prof. Seberg entsetzt. »Ihre Vaterliebe und Reue geht doch etwas zu weit! Ein solcher Bursche …«
»Sie kennen ihn doch gar nicht.«
»Was hier in der Zeitung steht – drei Frauen …«
»Ich habe mit allen drei Mädchen gesprochen. Sie haben Poltecky das Geld förmlich nachgeworfen in der Hoffnung, ihn damit unter den Hut und den Pantoffel zu bringen. Und der kleine Narr nahm das Geld – um sein Glück zu zwingen. Er wollte das Schicksal korrigieren.« Opperberg lächelte bitter. »Wenn wir es tun, lieber Professor, nennt man es ›geglückte Transaktionen‹. Tut es ein kleiner armer Wicht, so wird es Betrug. Gleiche Taten gewinnen eine andere Bewertung, wenn man sie von zwei verschiedenen Ebenen aus sieht.«
Prof. Seberg schwieg. Er sah zum Weg hinunter. Ein Krankenwagen der Bonner Neurologischen Klinik war vorgefahren. Zwei Krankenwärter und ein junger Arzt kamen mit einer Trage über den Kiesweg zur Terrasse hinauf. Der Wagen setzte rückwärts in die Auffahrt hinein.
Opperberg griff selbst mit zu, als die Trage auf der Terrasse stand. Er trug Julia wie ein kleines Kind auf seinen Armen und deckte sie mit den Decken zu, die die Pfleger anreichten. Unterdessen hatte der Diener den Wagen Opperbergs aus der Garage gefahren und einen kleinen Koffer mit Nachtzeug auf den Rücksitz gelegt. Er wußte, daß Opperberg in der Klinik bei seiner Tochter bleiben würde, bis die Krisis überstanden war oder es keine Besorgnisse mehr gab.
Wenig später rasten zwei Wagen nach Bonn, vorweg der Krankenwagen mit sich drehendem und zuckendem Blaulicht, hinterher der schnelle Sportwagen, mit einem bleichen Mann am Steuer.
In der Neurologischen Klinik erwartete bereits der Chefarzt den ihm bekannten Bankier. Während zwei Assistenten Julia für die Untersuchung vorbereiteten, unterrichtete Opperberg in kurzen Worten den Chefarzt von der Vorgeschichte des Schockes.
»Wir werden Ihre Tochter aus der Bewußtlosigkeit herausholen«, sagte der Chefarzt. »Aber was dann kommt – wir kennen ja Ihre Tochter. Ihre Lähmung ist eine reine Nervenlähmung, die wir vergeblich behandelten. Nun dieser Schock dazu. Ich mache mir Sorge, Herr Konsul.«
»Sprechen Sie offen, Herr Professor.« Opperberg würgte. Er spürte, wie Tränen in seine Augen traten. »Ich will stark sein. Sie können mir alles sagen.«
»Es kommt vor – bei ganz extremen Fällen –, daß der Kranke einfach nicht mehr gesund werden will. Er will sterben! Und da
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