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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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einfach liegen und lachte. Die Büroangestellten sahen betreten zur Seite. Nicht einer von ihnen mischte sich ein: ›Hey, hör auf damit! Wie heißt du? Das melde ich deinen Eltern!‹ Sie hatten Angst vor uns, Angst, wir könnten eine |173| Knarre ziehen und eine Art Massenmord in der Mall veranstalten.
    Bruce lachte immer noch. Tucker tänzelte um Jason herum, die Fäuste erhoben wie ein Boxer, und rief: »Komm schon, Penner! Komm schon!«
    Ein Wachmann kam rasch auf uns zu. Ich packte Jason am T-Shirt. »Lass uns abhauen.« Wir rannten durch die Leute in ihrer Mittagspause in einen Aufzug, kurz bevor sich die Tür schloss. Eine Mutter mit Kinderwagen lächelte uns an, wahrscheinlich hielt sie uns einfach für zwei verrückte Teenager bei einem verrückten Teenagerabenteuer.
    Wir stiegen alle im zweiten Stock aus; Jason und ich gingen zu
Macy’s
rein und blickten uns suchend nach dem Typen von der Sicherheitsfirma um.
    Ich riss mich zusammen, bis wir in die Herrenabteilung kamen, wo es leer und ruhig war. Sobald ich wusste, dass wir allein waren, konnte ich nicht mehr an mich halten: Ich ließ mich auf ein Podest zu Füßen einer Ankleidepuppe im Smoking fallen und heulte los.
    Jason setzte sich neben mich. »Das sind Arschlöcher«, sagte er. »Vergiss sie.«
    »Er hat mich angetatscht!«, rief ich. »Ich bin kein öffentliches Eigentum.«
    »Wie gesagt: Arschlöcher.«
    Ich konnte nicht fassen, dass ich
schon wieder
weinte; in zwei Tagen hatte ich mehr Tränen als in den letzten beiden Jahren vergossen. Ich hielt eine Hand vors Gesicht. »Ich war gestern Abend mit Tommy zusammen.«
    |174| »Tommy Webber?«
    Ich nickte. »Er arbeitet im
Picasso

    »Seit wann?«
    »Schon bevor ich angefangen habe.« Ich nahm die Hand vom Gesicht und sah Jason an. Ich konnte nicht sagen, ob er enttäuscht oder besorgt oder eifersüchtig oder was auch immer war. »Er hat mich nach Hause gefahren.« Die Tränen rannen jetzt nur noch spärlich. »Es ist nichts passiert, ehrlich.«
    »Sorry, aber ich glaube, irgendwas ist doch passiert.« Jason sprach leise. »Sonst würdest du mir das gar nicht erzählen.«
    »Tommy war Tommy«, sagte ich. »Ich war ich.«
    »Das bist nicht du, Deanna.«
    »Wir haben geredet. Tommy und ich, wir haben geredet über das, was damals … passiert ist. Ich dachte, danach würde es mir besser gehen, aber jetzt …«
    Bruce’ Hand zwischen meinen Beinen, inmitten einer Menge Fremder, und schlimmer noch, vor Jason – das brannte den Stempel noch tiefer in meine Stirn:
Deanna Lambert, du bist ein Miststück von einer Schlampe.
Die Tränen flossen von Neuem.
    Jason erhob sich. Ich dachte schon, er wollte gehen, was den Tag so ziemlich als den schlimmsten meines Lebens überhaupt besiegelt hätte. Aber er tat im Gegenteil etwas Filmreifes: Er zog das Einstecktuch aus der Brusttasche der Smokingpuppe und reichte es mir. »Du bist nicht das, was Tommy oder Bruce und Tucker behaupten. Oder was dein Vater sagt.«
    Dass er genau das Richtige so gelassen aussprach, |175| schmerzte auf eine Art noch mehr, als wenn er einfach gegangen wäre. Ich putzte mir die Nase und trocknete mein Gesicht. »Manchmal glaube ich das schon. Aber ein Teil von mir weiß, dass ich es nicht bin.«
    Ein Verkäufer kam auf uns zu und ich ballte das Tuch in meiner Faust zusammen. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Ja, alles okay mit ihr«, antwortete Jason.
    »Das ist schön, aber das hier ist kein Nachtclub, also suchen Sie sich etwas anderes zum Abhängen, in Ordnung?«
    Wir gingen zum Aufzug, fuhren ins Erdgeschoss – und landeten vor einer Riesenwand aus Badetüchern.
    »Wieso …« Ich unterbrach mich.
    »Wieso was?«
    »Nichts.«
    »Mensch, Deanna. Wieso was??«
    Ich steckte meine Hand zwischen zwei blassblaue Badetücher. »Wieso hast du mich noch nie gefragt, ob ich mit dir ausgehen will?«
    Ich glaube, er zuckte die Achseln. Sicher bin ich mir nicht, denn ich konnte ihn nicht ansehen.
    »Wir sind nun mal Kumpels. Auf eine andere Art habe ich dich nie betrachtet.« Er sagte es so leichthin und ehrlich, dass ich davon kein mieses Gefühl hätte bekommen sollen – ich bekam es trotzdem.
    »Nie?«
    »Nee.«
    »Nicht ein einziges Mal?«, beharrte ich und spielte an den Frotteeschlingen der Badetücher herum. |176| »Während der ganzen Zeit, die wir uns kennen, hast du dich nie gefragt, wie es wäre, mich zu küssen?« Jetzt sah ich ihn an und bemerkte, wie sein Gesicht rot anlief.
    Er setzte

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