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Ziel erfasst

Ziel erfasst

Titel: Ziel erfasst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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blickte sie in die Zelle hinein.
    Saif Rahman Yasin saß mit dem Gesicht zum Verbindungsfenster auf seinem Betonbett. Er hatte in seinem Koran gelesen, den er jetzt vorsichtig auf den Tisch am Fußende seines Betts legte. Als Cochrane ihn anschaute, nahm er seine Gefängnisbrille ab und rieb sich die Augen. Judith musste sofort an den jungen Omar Sharif denken. Er stand auf und kam ihr durch seine kleine Zelle entgegen. Er setzte sich auf einen dreibeinigen Hocker, den man ihm neben ein Telefon gestellt hatte, das auf dem Boden stand. Judith bemerkte, dass der rote Apparat keine Knöpfe und keine Wählscheibe hatte. Es gab also nur die Verbindung mit dem Telefon in ihrer eigenen Hand. Yasin hob den Hörer ab und hielt ihn probeweise ans Ohr. Sein Gesicht blieb völlig unbewegt. Er schaute der fremden Frau in die Augen, als wartete er darauf, dass sie etwas sagte.
    »Guten Morgen, Mr. Yasin. Mein Name ist Judith Cochrane. Man hat mir gesagt, dass Sie hervorragend englisch sprechen. Ist das so?«
    Der Gefangene antwortete nicht, aber Cochrane merkte, dass er sie verstand. Sie arbeitete fast nur mit Menschen mit einer anderen Muttersprache zusammen. Sie konnte deshalb deren Sprachkenntnisse problemlos einschätzen. »Ich bin Anwältin und arbeite für die Progressive Constitution Initiative. Der US-Justizminister Michael Brannigan hat entschieden, dass Ihr Prozess vor dem Bundesgericht für den Bezirk Westliches Virginia stattfindet. Das Justizministerium selbst wird Anklage gegen Sie erheben, und meine Organisation wurde dazu bestimmt, Ihre Verteidigung zu übernehmen. Haben Sie mich so weit verstanden?«
    Sie wartete einen Moment auf eine Antwort, aber der Gefangene 09341-000 starrte sie nur wortlos an.
    »Es wird wohl ein langer Prozess, der bestimmt mehr als ein Jahr, wahrscheinlich sogar eher zwei Jahre dauern wird. Bevor er überhaupt beginnen kann, müssen wir noch über mehrere vorbereitende Schritte …«
    »Ich möchte mit jemand von Amnesty International über meine illegale Inhaftierung sprechen.«
    Cochrane nickte verständnisvoll, sagte jedoch: »Leider kann ich das nicht arrangieren. Ich versichere Ihnen, dass ich tatsächlich Ihre Interessen vertrete. Als Erstes werden wir Ihre Haftbedingungen untersuchen, damit man Sie hier ordentlich behandelt und versorgt.«
    Der Emir wiederholte gleichwohl nur diesen einen Satz: »Ich möchte mit jemand von Amnesty International über meine illegale Inhaftierung sprechen.«
    »Sir, Sie haben Glück, dass Sie überhaupt mit jemand sprechen dürfen.«
    »Ich möchte mit jemand von Amnesty International über meine illegale …«
    Cochrane seufzte. »Mr. Yasin. Ich kenne Ihr Drehbuch. Eines Ihrer Handbücher fiel vor einigen Jahren in Kandahar amerikanischen Spezialtruppen in die Hände. Es enthielt genaue Instruktionen, wie man sich bei einer Gefangennahme und in Gefangenschaft verhalten sollte. Ich wusste deshalb, dass Sie einen Vertreter von Amnesty International verlangen würden. Ich gehöre zwar selbst nicht zu Amnesty International, aber meine Organisation wird Ihnen auf lange Sicht weit nützlicher sein.«
    Yasin starrte sie eine ganze Weile an und hielt sich dabei den Telefonhörer ans Ohr. Schließlich sagte er: »Sie haben diese Ansprache schon früher gehalten.«
    »Das stimmt. Ich habe viele Männer und auch eine oder zwei Frauen vertreten, die in den Vereinigten Staaten als ›feindliche Kämpfer‹ galten. Jeder von ihnen hatte dieses Handbuch gelesen. Sie sind wahrscheinlich der Erste, mit dem ich spreche, der einen Teil dieses Handbuchs geschrieben hat.« Sie lächelte, als sie das sagte.
    Yasin erwiderte nichts.
    »Ich verstehe, wie Sie sich fühlen müssen«, fuhr Cochrane fort. »Sie brauchen jetzt nichts zu sagen. Hören Sie mir einfach nur zu. Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Justizminister haben persönlich mit dem Direktor der Bundesgefängnisbehörde gesprochen und dabei betont, wie wichtig es ist, dass Sie vertrauliche Gespräche mit Ihrem Anwaltsteam führen können.«
    »Meinem … meinem was?«
    »Ihrem Anwaltsteam. Dazu gehören ich und einige andere Anwälte der PCI, der Progressive Constitution Initiative, die Sie in den kommenden Monaten kennenlernen werden.«
    Der Emir sagte nichts.
    »Entschuldigen Sie. Haben Sie Probleme, mich zu verstehen? Soll ich einen Dolmetscher besorgen?«
    Der Emir verstand sie sehr gut. Es war nicht die englische Sprache, die seinen Redefluss hemmte. Vielmehr war es das Erstaunen darüber, dass

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