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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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ihr einen Kuss gab und mich mit einem »Bis morgen, Liebling« gleich wieder verabschiedete.
     
    *
     
    Heute Abend vertiefe ich mich in mich selbst. Ich versuche anhand der Schmerzen die Grenzen meines Körpers auszuloten: der Kopf, etwas leichter, obwohl immer noch mit einem gewissen Druckgefühl; das Gesicht und der Hals, die von meinen allergischen Reaktionen jucken; die immerzu verkrampften Schultern. In der rechten Schulter leide ich an zunehmendem Knochenschwund infolge des starken Aufpralls beim Sturz. Ein halbes Jahr lang versuchte man, die Schulter mit Kalziumspritzen zu heilen, doch ich bekam nur jeden Abend Fieber davon, mir wurde erst übel, dann fühlte ich mich benommen. »Das muss ja ein ziemlich heftiger Sturz gewesen sein«, meinte der Arzt. Sollte das ein Scherz sein? Oder war es eher die Abgebrühtheit des Spezialisten, der nicht über den Rand seiner Röntgenaufnahmen hinaus schaut? Diese Schulter bereitet mir manchmal höllische Schmerzen. Dann darf niemand mich berühren. Ich halte die Luft an, schließe die Augen. Ich weiß, dass es vorbeigeht, ich muss nur kurz warten, eine oder zwei Minuten. Alles halb so wild, es gibt Schlimmeres. »Doch, doch, das geht vorbei, glauben Sie mir. Nein, nein, fassen Sie mich nicht an, fassen Sie mich ja nicht an der Schulter an!« Ab den Schultern sind meine Nerven völlig durcheinandergeraten. Zeitweise brennt es derartig, dass ich im Dunkeln liegen muss. Mir fällt Rimbauds törichte Jungfrau ein: »Ich leide wirklich, Herr, ein wenig Linderung, ich bitte Euch.«
    Ich stoße auf ein populäres Gebet: »Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
     
    *
     
    Nachts in meinem Bett steigt mir auf einmal der ekelerregende Geruch von Essensvorbereitungen in die Nase. Morgen kommen vierzig Korsen aus den Bergen zu Besuch, es ist lange her, dass die Pozzos standesgemäß Gäste empfangen haben. Abdel ist für ihre Bewirtung zuständig, er hat einen méchoui vorgesehen, am Spieß gebratenen Hammel. Heute Nachmittag hat er bei einem benachbarten Hirten ein Schaf ausgesucht. Er war überrascht, wie mager die Tiere waren, und gab sich schließlich mit einem 32 Kilo schweren Mutterschaf zufrieden. Er kam zurück, lud das Tier aus, das an drei Pfoten gefesselt war, die vierte war frei. Er ging seine Messer holen. Ich war nicht sicher, ob ich mir das ansehen mochte. Ich dachte an Béatrice – in diesem Schaf erkannte ich sie, erkannte ich mich wieder. Sie todkrank, mich gelähmt. Das Schaf versuchte, sich mit der vierten Pfote über den Boden zu schieben, doch es drehte sich nur um die eigene Achse. Wie oft habe ich davon geträumt, meiner Lähmung zu entfliehen? Wie oft habe ich mich gesund geträumt, mich gesehen, wie ich Béatrice aus ihrem Krankenhausbett befreie, um sie zu mir zu holen, in mein eigenes Bett, damit sie in meinen Armen entschläft! Doch der Schlachter von der medizinischen Fakultät behielt sie bis zum Schluss. Er hat ihr den Rest gegeben. Wie hat sie solche Qualen klaglos erdulden können? Ihr ganzes Leben hat sie gegen die Allmacht der Ärzte angekämpft.
    Abdel ertastete die Halsschlagader und durchtrennte dem Schaf mit einem raschen Schnitt die Gurgel. Blut spritzte heraus, hellrot wie Erdbeersaft. Plötzlich sah ich vor mir, wie Béatrice in den letzten Tagen ihres Lebens geatmet hatte – lange bevor ich es merkte, hatten sie sie schon getötet. Ihr blieb nur noch diese stoßweise Atmung, mit geschlossenen Augen, reglosen Gliedmaßen. Nur noch die Brust hob und senkte sich mühsam, mit kurzen, ruckartigen Bewegungen. Gefolgt von einer langen Phase völliger Ruhe.
    Abdel verkündete, die letzten Zuckungen des Schafs seien etwa in einer Minute zu erwarten. Die freie Pfote zappelte wild in alle Richtungen. Abdel und ich stellten beide fest, dass es Spasmen waren: das Wort, mit dem die stoßweisen, unkontrollierten Zuckungen meiner Gliedmaßen bezeichnet werden. Eine letzte, heftige Zuckung, dann band Abdel selbstsicher die drei anderen Pfoten los. Er knüpfte das Schaf über einer Plane auf. Dann holte er Françoise, um »Familienfotos« zu machen. Wir bauten uns unter der Linde neben dem Brunnen auf. Françoise fotografierte – Abdel, das Schaf und mich.
    Er schob ein Röhrchen zwischen Fell und Fleisch an der Pfote entlang, blies in die Öffnung wie in einen Dudelsack, blies das Tier auf die doppelte oder

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