Ziemlich beste Freunde
Alexandra bezieht ein Zimmer ganz oben im Turm. Laetitia ist bei ihr, sie schluchzt. Abdel lässt niemanden mehr ins Zimmer. Er lässt nichts unversucht, um die Stauung zu beseitigen. Eine Stunde später ist es geschafft. Ich zittere am ganzen Körper, mein Mund geht nicht mehr zu. Abdel ist besorgt, ich kann nicht sprechen, versuche nur noch, mir bei diesen unkontrollierten Zuckungen nicht auf die Zunge zu beißen. Mein Atem kommt stoßweise. Es dauert Stunden, bis sich mein Körper wieder beruhigt hat. Am nächsten Morgen lässt mich Abdel schlafen. Um ein Uhr treffen wie angekündigt unsere Cousins aus Bastia ein. Ich bitte Abdel, mich in den Stuhl zu setzen.
Mit Korsika geht es bergab, sagt Antoine. Es macht ihn traurig. Ich folge der Unterhaltung von fern. Alexandra hört ihm zu. So kann ich mich etwas in diesem verdammten Rollstuhl ausruhen, hinter der schwarzen Sonnenbrille, unter meinem Hut und der um mich drapierten Djellaba. Mir ist schwindlig und unter dem Hut steht mir der Schweiß auf der Stirn. Hélène, Antoines Frau, bemerkt es. Ich bestehe trotzdem darauf, bis zum Ende ihres Besuchs dazubleiben, um meinen Freunden aus dem Norden die Ehre zu erweisen. Hélène ist eine zarte Frau mit einem hübschen Gesicht, das auf einem langen, mageren Hals ruht. Vor einigen Jahren musste sie sich einer Knochenmarktransplantation unterziehen, die ihren Krebs geheilt hat. Sie hat Béatrices letzte Monate mit großem Mut und Mitgefühl verfolgt. Mit nachdenklichen Augen betrachtet sie die Welt. Sie ist schön und schweigsam. Ihr Gatte analysiert die Lage, während er das von Françoise zubereitete korsische Wildschwein verspeist.
Ich erwarte den Steinmetz. Ich möchte, dass rosaroter korsischer Marmor die provisorische Platte auf Béatrices Grab ersetzt. Da kommt der Mann mit dem kleinen, markanten Schädel, dem üppigen roten Bart und dem sprühenden Humor. Seit achtundzwanzig Jahren bearbeitet er Grabsteine. Seine Gelassenheit und sein heiteres Wesen sind erfrischend. Ich spreche mit ihm über meine Kindheitserinnerungen, über seine Kollegen von damals, am Ausgang des Seemannsfriedhofs von Ajaccio. Früher waren es gut und gerne fünfzig seiner Zunft, die einander Konkurrenz machten. Heute ist er der letzte Steinmetz auf Korsika. Er ist stolz darauf, wird jedoch sein Können nicht an seinen Sohn weitergeben. »Die Steinbildhauerei hat keine Zukunft.«
*
Die provisorische Grabplatte wird durch ein Mosaik ersetzt, das meine Schwester Alexandra auf meinen Wunsch hin entworfen hat. Ein Muster aus Chrysanthemen und Iris, gelb und lila, Béatrice’ Lieblingsstrauß.
Sabrya
Béatrice liegt aufgebahrt auf der Chaiselongue. In Kürze werden die Leichenbestatter sie mitnehmen.
Die Depressionen haben mich fest im Griff. Die Monate vergehen. Ich habe die Waffen gestreckt.
Ich wollte Béatrice um jeden Preis retten.
Wenn sie tanzte, hat sie mich ganz schwindlig gemacht. Später, als ihre Beine von Wunden bedeckt waren, habe ich sie aufrecht gehalten. War unser Rhythmus je derselbe?
In diesem irrwitzigen Rennen habe ich es nicht verstanden, mich mit ihrer schwankenden Energie in Einklang zu bringen.
Heute Morgen war, wie an jedem Morgen, für zwei Stunden eine junge Pflegeassistentin da. Die hier ist neu. Sie sagt, sie heiße Sabrya – »Geduld« auf Arabisch. Sie ist so alt wie Béatrice, als wir uns kennenlernten. Ich habe die beiden verwechselt. Dabei ist Sabrya dunkelhaarig und hat schwarze Mandelaugen mit einem weichen, sanften Blick. Ihre Haut ist dunkel, von der Farbe reifer Aprikosen, und samtweich wie Pfirsich.
Jeden Morgen warte ich auf sie. Wenn ich sie kommen höre, mache ich meine von Trauer und Schlaflosigkeit geröteten Augen zu, damit Sabrya sie mir öffnet. Das tut sie mehrere Monate lang.
Sie rasiert mich, ihr Gesicht nähert sich meinem. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf ihre zarten Hände, die mich von der Anspannung der Nacht erlösen. Ihr Duft ist betörend. Ich wünschte, sie würde an meiner Seite bleiben, bis ich einschlafe.
»Sag mir doch einmal, dass du mich ein wenig verehrst. Komm näher, ich möchte dir etwas sagen.«
»Nein, ich weiß schon, was du sagen willst.«
»Doch, Sabrya, bitte. Sag mir einmal, dass du mich ein wenig liebst. Sag es mit deinem süßen Lächeln. Willst du schon gehen? Nein, Sabrya, gib mir noch eine Zigarette, noch drei Minuten, bitte, Sabrya.«
»Nein, ich muss gehen, ich habe noch andere Patienten.«
»Sabrya, noch
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