Ziemlich beste Freunde
einen Kuss, bitte. Ich will dir noch einen Kuss hinters Ohr geben.«
»Nein, nicht hinters Ohr, das kitzelt so, nur auf die Wange.«
Sie beugt sich über mich. Ein köstlicher, duftender Genuss. Sie behauptet, zwanzig verschiedene Parfums zu haben. Ich stelle keinen Unterschied fest, für mich ist es immer derselbe Duft.
»Du sagst es mir, wenn du mich ein bisschen liebst, ja?«
»Versprochen, ich sage es.«
Sie geht mit einem strahlenden Lächeln.
»Ich rufe dich an.«
»Oh! Sabrya, mach bitte alle Lichter aus.«
Ich habe sie gezähmt. Oft leistet sie mir in ihrer Freizeit Gesellschaft. Sie sitzt im Schneidersitz auf dem Bett, zierlich und behutsam. Ich erzähle ihr von Béatrice, spreche mit ihr über das Leben, das vor ihr liegt. Ich verberge, welchen Aufruhr sie in mir auslöst. Wenn sie spricht, sehe ich nur ihre schön geschwungenen Lippen, ihre glänzenden Zähne und ihre freche Zunge. Ich stelle mir vor, wie sie mich küsst. Ich träume.
Einmal lade ich sie abends in ein angesagtes Pariser Restaurant zum Essen ein. Ihre Mutter begleitet sie. Beide sind fein gekleidet: Sabrya trägt ein gelbes Kostüm, ihre glänzenden schwarzen Haare sind straff nach hinten gezogen. Zum ersten Mal sehe ich ihre Knie. Saadia, ihre Mutter, ist in üppige, mit Goldpailletten besetzte Gewänder in Rot- und Orangetönen gehüllt. Neugierig betrachten sie die Welt der Medienleute um sie herum, die ihnen fremd ist. Saadia sagt gar nichts. Mit Sabrya tausche ich unsere üblichen zärtlichen Neckereien. Sie führt ihr Glas mit Cola zum Mund. Angegurtet in meinem Rollstuhl, frage ich sie in unverändertem Ton: »Sabrya, willst du mich heiraten?«Sie beugt sich mit geröteten Wangen über ihren Teller. Ich sehe Tränen. Saadia fragt sie etwas; es kommt keine Antwort. Auch ich bekomme nie eine Antwort.
Saadia lädt mich zum Essen in ihre kleine Wohnung ein, mitten in einer anonymen Hochhaussiedlung im 15. Arrondissement. Abdel lässt sich von den Jugendlichen, die sich auf dem Hof herumtreiben, helfen, mich zu dem engen Aufzug zu tragen. Allein mit der Kraft seiner Arme hält er mich im Aufzug aufrecht. Dann müssen wir noch einen halben Treppenabsatz hinauf, ich an ihn gedrückt wie ein Hampelmann mit schlackernden Gliedern. Er hievt mich bis in die oberste Etage und setzt mich in einem kleinen Zimmer ab, das mit lauter Sitzkissen möbliert ist. Der Fernseher läuft die ganze Zeit. Sabrya bereitet die Tajine vor. Saadia setzt sich neben mich. Sie redet pausenlos über irgendwelche Sachen, von denen ich keine Ahnung habe. Ich versuche, mich gerade zu halten, als sie plötzlich sagt: »Wissen Sie, Monsieur Pozzo, vor ein paar Monaten ist sie ganz glücklich nach Hause gekommen. Sie hat mir erzählt, dass sie verliebt ist.«
Ich sage kein Wort. Einmal hat sie es also ihrer Mutter erzählt, da war sie glücklich. Dass jemand sie lieben könnte, das hat sie überrascht. Vielleicht ist ja noch etwas übrig von diesem kleinen Geständnis von einst? Saadia setzt mir die Traditionen ihrer Kultur auseinander, wonach die Mutter ihrer Tochter in deren neues Zuhause folgt. Sabrya unterbricht sie in ihrem üblichen schalkhaften Ton. »Maman, das reicht jetzt!« Sie beugt sich vor, ihr schöner Hals ist direkt vor meinem Gesicht. Es ist ein fröhlicher Abend. Nach dem Essen schlage ich Sabrya vor, einen Spaziergang zu machen. In der Anonymität des nächtlichen Paris fahre ich sie auf meinem Elektrorollstuhl durch die nahezu leeren Straßen. Sie setzt sich quer auf meinen Schoß, ihr linker Arm liegt weich in meinem Nacken, ihre Haare streicheln mein Gesicht. Mit dem Kinn lenke ich mein Schlachtross in rauschendem Tempo und mit blinkenden Lichtern mitten auf der Straße entlang. Sie lacht und singt für mich. Doch kein Wort zu meinem Traum. Ich flüstere ihr Zärtlichkeiten ins Ohr: »Wie ich deine Locken liebe, wenn du aus dem Schwimmbad kommst; auch wenn du sie nicht magst, weil sie dir zu ›ethnisch‹ sind. Weißt du eigentlich, dass du jeden Tag eine Stunde damit zubringst, dir die Haare glattzustreichen? Sicher, so kann man dein Gesicht besser sehen, aber lass die Locken doch einfach fallen, wie sie wollen. Ja, ich sehe sehr wohl, dass du einen lächerlich kleinen Busen hast und Reiterhosen; aber es steht dir gut. Ich sehe deine hübschen runden Knie, spüre deinen Arm um meinen Hals und die Sanftheit …« Als ein Auto uns überholt, unterbricht sie mich mit schallendem Gelächter.
Tischrunde
Die Sommerhitze hat Paris
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