Zigeunerprinz
beiden sprachen. Es war verwirrend, nicht zu wissen, was dort vor sich ging. Anscheinend verwehrte Rolf seinem Sohn den Zugang zu ihren Gemächern, aber warum und mit welchen Mitteln konnte sie nicht sagen. Bevor sie sich dazu entschließen konnte, die Tür zu öffnen, um das herauszufinden, machte der König eine Bemerkung, die wie ein Ultimatum klang. Roderic antwortete, dann entfernten sich die beiden Stimmen.
War Roderic auf dem Weg in ihr Schlafzimmer gewesen?
Sie lehnte die Stirn an die Tür. Der Gedanke ließ sie schwach werden. Noch alarmierender aber war die Frage, die sich daraus ergab: Wie oft hatte er das bereits versucht und war abgewiesen worden?
Sie hätte ihn keinesfalls eingelassen. Oder doch? Begierde war etwas Eigenartiges, zerstörte alle Entschlußkraft und moralischen Grundsätze. Sie hatte in letzter Zeit viel zuviel über ihre Reaktionen gelernt, um noch mit Sicherheit sagen zu können, was sie tun und lassen würde.
Sie fühlte sich geborgen, sicher. Ein Königsmantel als Schutz war ein hohes Privileg. Zugleich war sie instinktiv mißtrauisch.
Warum? Warum mischte er sich ein? War es so, wie Roderic gesagt hatte? Bewahrte sein Vater sie vor seinen Aufmerksamkeiten, weil er Roderic für unwürdig hielt? Oder hatte Angeline, aus mütterlicher Sorge und aus Verantwortung für die Tochter ihres ehemaligen Verehrers heraus, ihn darum gebeten? Das war wahrscheinlicher, da ihre Position so zwiespältig war; als Patenkind konnte man sie nicht aus dem Haus werfen, aber als Abenteurerin, die ihren Sohn in ein politisches und soziales Fiasko gestürzt hatte, mußte sie daran gehindert werden, ihn weiter zu umgarnen.
Nur einer Sache war sie sicher. Es war keine Frage des Anstands. Dieses Motiv hatte Rolf entwertet, als er sich gegen ihre Heirat gestellt hatte.
Nichts, was sie sich zurechtlegte, stellte sie zufrieden. Sie hatte das Gefühl, daß mehr daran war, als sie erkennen konnte. Vielleicht war die Lösung ganz einfach, aber das bezweifelte sie; Roderic wie auch sein Vater liebten das Täuschen zu sehr, als daß das wahrscheinlich gewesen wäre.
Wie eine Ratte hinter der Täfelung nagte sie die ganze Nacht an dieser Frage, ohne einer Antwort näher zu kommen.
Die anderen Affären im Hause entwickelten sich weniger kompliziert. Am folgenden Abend, als Mara sich zum Abendessen bereitmachte, entschloß sie sich, ein heißes Bad zu nehmen, um ihren Muskelkater zu vertreiben. Sie läutete nach Lila und begann, ihr Haar zu lösen.
Das Mädchen ließ sich Zeit. Als es endlich eintraf, blieb es draußen vor dem Umkleidezimmer stehen. Man konnte sie leise kichern und reden hören, unterbrochen von tiefen Baßstimmen. Mara brauchte nur einen Augenblick, um Jacques und Jared zu identifizieren.
Die Tür zum Umkleidezimmer gab nach, und Lila schlüpfte herein, wobei sie sich sofort umdrehte, um durch den Türspalt zu sagen: »Nein, nein. Nicht jetzt, ich muß arbeiten. Später, das verspreche ich euch!«
Das Mädchen drückte einen protestierenden Zwilling mit einer Hand zurück, bevor sie beiden die Tür vor der Nase zuschlug. Dann drehte sie sich um, sah Mara in der Tür zum Schlafzimmer stehen und knickste eilig. »Verzeihen Sie mir, Mademoiselle. Sie sind so hartnäckig, die beiden.«
Mara lächelte, weil das Mädchen vor Aufregung rot geworden war. »Welchen magst du lieber?«
»Das weiß ich nicht. Sie sind beide schön.«
»Die Wahl fällt einem schwer, das gebe ich zu.«
»Aber ja, sehr schwer, deshalb nehme ich beide.«
»Beide?«
»Ein doppeltes Vergnügen, Sie verstehen?«
»Das nehme ich an«, meinte Mara zweifelnd.
»Finden Sie das ungerecht? Vielleicht wäre es das, wenn ich auf eine Heirat hoffen würde, aber ich weiß schon, daß es nicht so weit kommt. Eines Tages werden sie beide eine Dame heiraten, die ganz anders ist als die, die der andere nimmt. Aber jetzt amüsieren sie sich, erst hier, dann da. Ich auch.«
»Du mußt aufpassen, daß man dich nicht verletzt.«
»Sie sind so gütig, weil Sie sich Sorgen machen. Ich werde es versuchen , antwortete Lila. Der Blick ihrer dunklen Augen war spitzbübisch, aber fast zu abgeklärt für ihr Alter. »Aber manchmal ist es nötig, für unser Vergnügen mit Schmerzen zu zahlen.«
Das war nur zu wahr. Mara wandte sich mit müder Miene
ab.
Lila kam zu ihr und faßte sie am Arm. »Warum so traurig, Mademoiselle? Wenn Sie so traurig sind, weil der Prinz Sie nicht mehr ruft, dann fassen Sie Mut. Er kann nicht.«
Mara fuhr auf dem
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