Zigeunerprinz
manchmal auch mit Gold- und Silberfäden bestickt, oder Teppiche aus den Knüpfereien von Gobelin und Savonnerie. Die Schnitzereien stellten Blätter und Blumen, Palmwedel, Früchte und Farne dar, Kränze und Girlanden und Bänderrosetten, Hirsche, Schimären, Delphine, Löwen und Pfauen, Lyren und Violinen, Hörner und Harfen, Kronen und Urnen und Schilder und Schwerter und Pfeile und Bögen, Göttinnen und Cherubim, Engel und Putten, und überall strahlte die Rhodossonne, das Symbol des Sonnenkönigs. Die meisten, wenn auch nicht alle Verzierungen waren mit Blattgold überzogen.
Die vielen Schnitzereien, die Tonnen an Vergoldung und sagenhaft großen Teppiche, die Meilen von marmorbelegten Suiten mit kostbarem, intarsienverziertem Mobiliar vermittelten den Eindruck unvorstellbaren Reichtums. Noch erstaunlicher war, daß das Interieur immer noch beeindrucken konnte, obwohl so viel verschwunden war, so viele Gold- und Silberwerke, Balustraden, Geländer und Kunstobjekte eingeschmolzen worden waren, so viele Gemälde und Möbelstücke von einer räuberischen und achtlosen Revolutionsregierung außer Landes verkauft worden waren.
Und doch konnte man ihnen kaum einen Vorwurf daraus machen. Ein verheerend tiefer Abgrund hatte zwischen den verschwenderisch lebenden ehemaligen französischen Aristokraten auf der einen Seite und den schiefen Bauernkaten oder den schmutzigen Gassen des Marais auf der anderen geklafft, wo das gemeine Volk zur Zeit der Revolution gelebt hatte und nun, im neunzehnten Jahrhundert, immer noch lebte. Kein Wunder, daß der französische Thron immer noch wackelte.
Zu dieser Jahreszeit hatte die ruthenische Gruppe das riesige Chateau fast für sich allein, ein, zwei gelangweilte Wachposten und eine alte Vettel ausgenommen, die ebenso interesse- wie wirkungslos hier und da mit einem Staubtuch herumwedelte. Sie besichtigten den berühmten Spiegelsaal, den riesigen, gewölbten Gang, in dem einst Kristallüster gehangen und Savonnerie-Teppiche gelegen hatten, die zu den Deckenmalereien von Le Brun paßten. Dies war der Verbindungsgang zwischen den Gemächern des Königs und denen der Königin gewesen. Der Parkettboden war noch intakt, ebenso wie, erstaunlicherweise, die Spiegel an der Wand gegenüber den siebzehn Rundbogenfenstern, aber Teppiche und Lüster waren verschwunden. Die weite Bodenfläche, wo Marie Antoinette verheiratet worden war, schien zum Tanzen einzuladen. Juliana und Michael wirbelten in einem Walzer darüber, die Feiern imitierend, die einst auf dem glänzenden Parkett stattgefunden hatten. Die anderen folgten ihrem Beispiel und drehten sich, bis es ihnen schwindlig wurde und Grandmere sie wegen ihres mangelnden Taktgefühls tadelte.
Die Truppe focht einen Schaukampf auf der Marmortreppe der Königin mit ihren grünen, kupfer-rosa-, cremefarbenen und weißen Marmormustern aus und ersann anstößige Geschichten über die Würdenträger, die sie auf und abgeschritten sein mußten. Sie drängten in den Schlachtensaal, einen Gang so lang wie acht Zimmer. Louis Philippe hatte ihn aus Gemächern schaffen lassen, die einst von verschiedenen königlichen Verwandten bewohnt worden waren. Hier konnte man riesige Gemälde besichtigen, auf denen die großen militärischen Ereignisse der französischen Geschichte dargestellt waren. Zwar waren auch einige alte Bilder darunter, doch hatte man die meisten eigens in Auftrag gegeben. Von besonderem Interesse war ein Gemälde von Delacroix, dem extravaganten Maler, den Mara im Salon der Hugos im Burnus gesehen hatte. Es trug den Titel Die Schlacht von Taillebourg und stellte romantisierend den Sieg Ludwig des Heiligen über die Engländer an der Brücke über die Charente im 13. Jahrhundert dar. Es war ein Panorama voller Kraft und Grazie und Blut, mit fliegenden Fahnen und Feuer unter dräuendem Himmel. Wie vorherzusehen, begeisterte sich die Truppe dafür.
Im Schlafgemach der Königin, wo neunzehn französische Königskinder geboren worden waren, wies Roderic auf die Deckenmedaillons von Boucher hin, auf denen Nächstenliebe, Überfluß, Treue und Klugheit symbolisiert wurden.
»Alles Tugenden für eine Königin«, erklärte er. Seine Miene war ernst, aber aus seinen Augen blitzte es heiter. »Die Dame auf dem Sitz neben dem Thron muß den Armen unter ihrem Volk gegenüber mitleidig sein und sich um die
Wohlfahrt kümmern, die königlichen Nachfahren muß sie, wie leicht einzusehen, im Überfluß produzieren, ihrem Herrn gegenüber muß sie treu
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