Zigeunerprinz
eine Erklärung gibt.«
Juliana antwortete: »Wir haben niemanden rufen gehört, nicht dort, wo wir waren.«
»Die einbrechende Dunkelheit ist ein alltägliches Phänomen. Bist du sicher, daß sie nicht trotzdem deine Aufmerksamkeit weckte?«
»Es war sowieso dunkel im Lagerraum, und weil die Geburt so aufregend war, haben wir jedes Zeitgefühl verloren.«
»Die Geburt?«
»Von Sophies Welpen.«
Ihr Vater blickte auf die Hunde zu seinen Füßen herab. Langsam hob er seinen Blick und sah mit seinen blauen Augen den Mann an Julianas Seite an. »Mischlinge«, sagte er leise. »Bastarde sind das Resultat, wenn sich eine reinrassige Hündin mit einem Hund ohne jeden Stammbaum verkuppelt.«
Mara bemerkte, wie Roderic seinen Vater kurz und stirnrunzelnd anblickte. Neben ihr sog Angeline scharf den Atem ein. Juliana machte einen Schritt vor.
»Eine Auffrischung durch gesundes Mischlingsblut bekommt einer Sippe überzüchteter Reinrassiger oft ganz gut.«
»Oft bekommt sie ihr auch überhaupt nicht«, entgegnete Rolf.
Luca legte seine Hand auf Julianas Arm, bevor sie widersprechen konnte. »Ihre Tochter ist schön und warmherzig und weise, Sire«, sagte er, »aber ich weiß sehr wohl, daß sie nichts für mich ist. Sie brauchen mir das nicht erst zu erklären. Und ich brauche es mir nicht anzuhören.«
Er entfernte sich von Juliana und den anderen und schritt auf die Tür zu.
»Warte«, rief Roderic ihm nach. »Du gehörst zur Truppe. Wer darin aufgenommen ist, kann sie nicht ohne Genehmigung verlassen. Und die hast du nicht.«
Der Zigeuner drehte sich um, öffnete mit zittrigen Fingern die Verschlüsse seiner Jacke, zog sie aus und warf sie auf einen Tisch. »Vielleicht kann er das nicht, ohne seine Ehre zu verlieren. Aber was für eine Ehre hat ein Zigeunermischling schon?«
»Luca!« rief Juliana, aber er antwortete nicht. Er machte auf dem Absatz kehrt, öffnete die Tür und war verschwunden.
Angeline stand auf, und ihr Benehmen verriet königliche Würde, während sie sich mit zornig funkelnden Augen an ihren Gatten wandte. »Das ist ein Verlust. Wir werden ihn spüren.«
Rolf drehte sich zu ihr um und sagte, als wären sie allein: »Es war notwendig. Entweder er nimmt den Mond als Baldachin oder eines aus staubigem Damast.«
Während Mara Angeline beobachtete, die diese kryptische Erklärung verdaute, ermahnte sie sich, daß Rolf oder sein Sohn nur sehr wenige Dinge ohne Hintergedanken taten.
»Du hast seinen Stolz verletzt«, meinte Angeline zurückhaltender. »Das ist die gefährlichste Verletzung.«
»Es ist sein Zigeunerstolz, der unterdrückt werden muß.« Roderic mischte sich sarkastisch ein. »Aber mußte er ausgerechnet während der augenblicklichen offensichtlichen Krise unterdrückt werden?«
»Krise?« fragte Angeline schnell und drehte sich zu ihm um.
»König Louis Philippe und Guizot haben in ihrer kollektiven Weisheit das reformistische Bankett verboten, das morgen abend auf der Place de la Concorde stattfinden sollte. Lamartine hat geschworen, hinzugehen und zu sprechen, und sollte niemand außer ihm und seinem Schatten dort sein. In den Arbeitervierteln hat man sich bewaffnet.«
»Was können wir tun?«
»Wir können die Reformisten am Freitagabend empfangen, wie wir es vorhatten, um uns über ihre Vorhaben auf dem laufenden zu halten. Oder wir warten ab und hoffen, daß Louis Philippe König genug ist, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen.«
Aber Louis Philippe tat gar nichts.
Am nächsten Tag fanden unzählige Demonstrationen und Märsche auf den Straßen statt, es wurden Parolen gerufen und gejubelt und die Marseillaise gesungen. Roderic und die Truppe verließen früh das Haus und kehrten nicht zurück. Rolf wurde in die Tuilerien gerufen, wahrscheinlich um mit Louis Philippe darüber zu beraten, welcher Weg eingeschlagen werden sollte. Die Frauen blieben allein zurück.
Der Nachmittag war bedeckt, aber immer noch ungewöhnlich warm, auch wenn ein Wetterwechsel in der Luft lag. Nach dem Mittagessen hielt Grandmere ein Nickerchen, und die meisten anderen zogen sich in ihre Gemächer zurück. Mara schaute nach ihrer Großmutter und saß dann, in einem Modejournal namens Le Follet blätternd, eine Weile vor dem Kamin. Sie war unruhig und nervös, wider besseres Wissen besorgt, weil Roderic und die anderen auf der Straße waren. Sie wünschte, sie wüßte, was mit ihnen geschah, wo sie waren und was sie taten und ob sie an dem Geschrei und dem Gebrüll beteiligt waren, das
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