Zigeunerprinz
Loyalität«, erklärte Roderic mit rauher Stimme, als sie ihre Gedanken in Worte faßte. »Nie gab es eine Frau, die unbeständiger war oder schneller in Schwierigkeiten kam. Allerdings kann ich nicht behaupten, ich wüßte, wie sie meiner Aufsicht entkommen ist.«
»Aufsicht?«
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, meinte er mit wegwerfender Geste.
Mara, in Gedanken bei wichtigeren Dingen, sagte: »Juliana hatte gestern morgen Angst. Sie würde sich nicht wieder in Gefahr begeben, nicht so schnell.«
»Sie kennen sie nicht so gut wie ich. Die Gefahr war vergessen, kaum daß sie vorüber war. Wenn sie zurückzukehren beliebt, wird sie uns strahlend, fröhlich verkünden, daß sie sich jetzt als Mitglied der Truppe betrachtet, nachdem sie ihre Fechtkunst unter Beweis gestellt hat. Und ich habe, aus mangelnder Vorsicht, allen von jenem Stand nur einen einzigen Begleiter zugebilligt.«
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, bemerkte die angestrengten Falten um seine Augen. Er hielt sich für verantwortlich. Daß er das tat, war zum Teil auf seine Erziehung, aber auch auf sein Wesen zurückzu führen. Das zu kommentieren, ihm zu erklären, daß er nicht für die Wirrungen der Weltläufe verantwortlich sei, würde nichts nützen. Juliana war seine Schwester, und auch wenn er sie jetzt rundheraus verdammte, sorgte er sich in ebenso großem Maße um sie.
Dennoch wollte Mara nicht glauben, daß Juliana so töricht war. Es mußte einen Grund geben, warum sie, mit oder ohne Luca, verschwunden war. Daß sie verschwunden waren, um ungestört zusammen zu sein, konnte sie ebenfalls kaum glauben. In vielen Dingen schien Juliana nur sich selbst als Maßstab gelten zu lassen, doch Luca hatte allzu großen Respekt gegenüber dem Boyaren und in Konsequenz auch gegenüber seiner Tochter.
Noch etwas fehlte im Haus. Erst einige Zeit, nachdem Roderic und die Truppe, unterstützt von Rolf, sich neuerlich auf die Suche gemacht hatten, bemerkte Mara das Fehlen. Dämon war verschwunden.
Es schien nur natürlich, sich zu fragen, wo sich Julianas Pekinesin Sophie aufhielt. Die kleine Hündin war in letzter Zeit recht schwer und rund geworden und dazu übergegangen, die meiste Zeit in ihrem Körbchen im Schlafzimmer ihres Frauchens zu liegen oder sich mit Dämon vor dem Feuer in der langen Galerie niederzulassen. Sophie war weder hier noch dort.
Erneut wurden die Diener zusammengerufen und beauftragt, nach den Hunden zu suchen. Sie sollten keinen Raum ungeöffnet, keine Kammer und keinen Schrank undurchsucht lassen. Sie sollten die Höfe abschreiten und mit einer Lampe jedes Lager, jeden Schuppen und die dunkelsten Ecken der Ställe ausleuchten. Sie sollten keinesfalls mit leeren Händen zurückkehren.
Am Ende war es lächerlich einfach. Juliana und Luca wurden auf einer Bank in einer Ecke des Nordhofes gefunden. Sie hatten sich gegen die Nachtkälte in eine Pferdedecke gewickelt und ruhten sich von ihrer anstrengenden Arbeit als Hebamme und Geburtshelfer aus. Der Zigeuner erklärte Juliana die Sternbilder über ihnen. Im Gärtnerschuppen nebenan lag, auf einem Stapel von Leinwänden, die einst als Sonnenschutz bei einem Gartenfest gedient hatten, Sophie mit vier winzigen Welpen. Dämon hielt Wache an ihrer Seite, grinste und wedelte ab und zu stolz, aber lächerlich müde mit dem Schwanz.
Als das Suchkommando zurückkehrte, hatte man die frischgebackene Mutter und ihren Nachwuchs bereits in den Privatsalon geschafft. Juliana und Luca hatten den Geruch nach feuchter Leinwand, Pferd und Hund abgewaschen und waren reuig dorthin zurückgekehrt, wo sich die anderen über die winzigen Fellbündel beugten, die neben Sophie in ihrem Korb beim Feuer herumtapsten.
Die weite Tür schwang auf. Roderic und Rolf kamen, Schulter an Schulter, in den Raum gestampft, gefolgt von Estes, Michael, Trude und den Zwillingen. Das Gesicht des Prinzen und das seines Vaters waren von Erschöpfung und stundenlanger Sorge gezeichnet, die in Sekundenschnelle in blanke Wut umgeschlagen waren. Die Mitglieder der Truppe enthielten sich vorsorglich jeden Kommentars.
Luca sprang auf, und Farbe stieg in sein dunkles, hübsches Gesicht. Juliana richtete sich neben ihm auf und reckte das Kinn vor. Dennoch sprach der Zigeuner zuerst.
»Es gibt keine Entschuldigung für den Aufruhr, den wir verursacht haben. Wir werden deshalb keine Vorbringen.«
»Eine ausgezeichnete Taktik, meinen Glückwunsch«, erwiderte Rolf mit schwerer Ironie. »Trotzdem bin ich überzeugt, daß es
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