Zigeunerprinz
ab und zu zu hören war.
Sie sprang unwillkürlich auf, als jemand an die Tür klopfte. Auf ihre Aufforderung hin trat ein Dienstmädchen ein. »Ich bitte um Verzeihung, Mademoiselle. Ein Besucher möchte Sie sprechen.«
»Wer ist es?«
»Das wollte er nicht sagen, aber es geht um eine Geldsumme, die Ihre Großmutter ihm schulden soll. Ich habe ihn unten im Vorzimmer warten lassen, weil er wie ein Vertreter aussieht. Ich hoffe, das ist Ihnen recht?«
Mara nickte dem Mädchen mit steifer Miene zu. De Landes. Es konnte niemand anderer sein. Er hatte keine Macht mehr, ihr zu schaden, und doch war es vielleicht besser, wenn er die Haupträume des Hauses nicht betrat. Sie hatte keine Ahnung, was er nach all den Wochen von ihr wollte, aber sie hatte ganz bestimmt nicht vor, ihn den anderen vorzustellen, als wäre er eine ehrenhafte Bekanntschaft. Sie wünschte, sie hätte den Mut, ihn wieder fortzuschicken. Mit dem größten Vergnügen hätte sie ihm eine entsprechende Botschaft geschickt und ihn von den Lakaien hinauswerfen lassen. Doch das konnte sie nicht riskieren. Nein. Sie würde ihn anhören müssen.
Sie wanderte durch die Korridore und stieg die Haupttreppe hinab. Das Vorzimmer, von dem das Dienstmädchen gesprochen hatte, war ein kleiner Raum beinahe unter der Treppe, ein kühles, kahles Gelaß, wo Händler und Lieferanten, jene, die nicht als Gäste oder Vertraute eingestuft wurden, zu warten hatten. Hier gab es keinen Kamin, keine Erfrischungen, keine Lakaien, die man rufen konnte, nur eine Bank, einen fadenscheinigen Teppich und den Blick durch das Bleiglasfenster auf das Gestrüpp im Westhof.
De Landes erhob sich von der Bank, als sie eintrat, ebenso wie ein schlaksiger junger Mann mit nichtssagendem Lächeln, der sein Begleiter zu sein schien.
»Wie charmant«, sagte er und berührte seinen Spitzbart mit einer langen, schlanken Hand. »Sie scheinen sich bei dem Prinzen gut eingelebt zu haben.«
»Das geht Sie nichts an. Warum sind Sie hier?«
»Es geht immer noch um das Geld, das mir Madame Delacroix, Ihre Großmutter, schuldet. Ich habe gehört, sie sei krank gewesen. Ich möchte sie nicht stören, und ich bin überzeugt, daß das nicht nötig sein wird. Sie und ich haben schon einmal eine Übereinkunft erzielt, und wir können das wieder tun.«
»Die Schulden meiner Großmutter sind voll und ganz bezahlt. Zwar ist der Anschlag auf das Leben des Königs nicht so ausgegangen, wie Sie sich das vorgestellt hatten, aber ich habe getan, was Sie verlangt hatten. Mehr können Sie nicht erwarten.«
»Sie halten sich für sehr wertvoll, nicht wahr?« sagte er, und sein Tonfall klang, obwohl er mit sanfter Stimme sprach, gehässig. »Nie haben wir vereinbart, daß mit diesem armseligen Dienst, den Sie mir erwiesen haben, alle Schulden beglichen sind.«
Sie ignorierte den dezenten Hinweis auf das, was sie getan hatte. »Ich hatte den Eindruck gewonnen.«
»Dann haben Sie sich geirrt.«
Sie drehte sich von ihm weg, um aus dem Fenster zu starren. Plötzlich kam ihr eine Idee. Es war vielleicht ganz sinnvoll zu erfahren, was er vorhatte. Außerdem bot sich ihr jetzt eine Gelegenheit, genau zu erfahren, was während des Attentats vorgegangen war, ein- für allemal klarzustellen, welche Rolle Roderic dabei gespielt hatte. Über die Schulter hinweg sagte sie: »Sie haben Ihre Revolte, so sieht es jedenfalls aus. Was wollen Sie noch mehr?«
»Das ist nur ein kleiner Aufruhr, nur eine Gelegenheit, um eine echte Revolution auszulösen.«
»Ich sehe nicht, wie ich Ihnen bei solch grandiosen Plänen behilflich sein könnte.«
»Das können Sie ruhig mir überlassen.«
Als er die letzten Worte sprach, war seine Stimme näher und klang äußerst zufrieden. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie mit den beiden Männern allein in diesem kleinen Zimmer war. Sie wollte sich umdrehen. Ein abstoßend süßer Duft stieg ihr in die Nase. Feste Hände umklammerten ihre Arme und Schultern, und ein feuchtes Tuch wurde gegen ihr Gesicht gepreßt. Sie holte Luft, um zu schreien, und hustete, würgte, übergab sich beinahe. Wie betäubt spürte sie, daß man sie hochhob und halb aus dem Zimmer trug, halb schleifte. Es wurde dunkel, dann wurde sie auf eine harte Oberfläche geworfen, die roch und sich anfühlte wie ein lederner Kutschensitz. Er setzte sich schaukelnd und schwankend in Bewegung, so daß ihr wieder übel wurde. Graue Dunkelheit senkte sich um sie, sperrte das Licht, den Nachmittag, alles aus.
17. Kapitel
Die
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