Zigeunerprinz
wäre die Angelegenheit erledigt. Wenn die drohende Revolution tatsächlich stattfand, dann würde der Vorfall nicht einmal so viel Aufmerksamkeit erregen.
»Und das wird Ihnen genügen?« fragte sie. Sie brauchte alle Kraft, um ihre Stimme heiter klingen zu lassen. »Ich hätte gedacht, eine öffentliche Erniedrigung wäre viel befriedigender.«
»Möglicherweise. So viel will ich ihm jedoch zugestehen: Er ist viel zu gerissen, um sich in eine Situation zu begeben, die verfänglich genug für ein solches Vorhaben ist.«
Sie schenkte ihm ein kurzes, angestrengtes Lächeln. »Wirklich?«
Die Idee, die in ihrem Kopf kreiste, war unausgegoren und gewagt. Brachte sie das fertig? Würde es funktionieren, oder würde alles auf sie und Roderic zurückfallen und die Angelegenheit tausendfach schwieriger machen, als sie es jetzt bereits war? Er trat einen Schritt auf sie zu. »Wie meinen Sie das?«
»Warum sollte ich Ihnen das verraten, solange ich dermaßen gefesselt bin und frieren muß? Warum sollte ich sprechen, solange mein Mund so trocken wie Baumwolle ist?«
Der Franzose starrte sie an, und seine schwarzen Augen glänzten hart im düsteren Licht. Schließlich nickte er der untersetzten Frau zu. »Mach sie los. Bring etwas Wein, was immer du hast.«
Die Instruktionen wurden ausgeführt. Mara rieb sich die Handgelenke und bewegte ihre Füße, die unter der wieder einsetzenden Durchblutung juckten und brannten. Sie zog sich die Decke als Umhang um die Schultern, dann rutschte sie zurück, bis sie mit dem Rücken an der Seitenwand der Bettnische lehnte, und nahm schließlich das fettige Weinglas entgegen. Sie nippte an dem dünnen, sauren Gebräu und war dankbar für die Wärme, die es in ihren Magen brachte.
»Hinaus«, befahl de Landes der anderen Frau, »und laß die Fesseln hier.«
Er vertraute ihr keineswegs und wollte sie das wissen lassen, um sie zu warnen. Es verfehlte seine Wirkung nicht.
»Jetzt«, sagte er, als sich die Tür hinter dem fleischigen Rücken der Vettel geschlossen hatte, »lassen Sie uns Ihre charmanten Verratspläne hören.«
»Gewiß, aber sollten Sie sich nicht lieber auf das Eintreffen des Prinzen vorbereiten?«
»Zuerst werden Sie ihm eine Nachricht senden. Bis dahin braucht er uns nicht zu beunruhigen.«
»Wie schlau.«
Er warf ihr einen sardonischen Blick zu, glättete aber zugleich in einer putzenden Geste mit den Fingern den Schnurrbart. Sie blickte auf ihre Hände und versuchte sich zu vergewissern, daß sie das Richtige tat. Sie konnte nicht sicher sein. Sie mußte ihrem Instinkt vertrauen. Eines wußte sie.
Sie würde es nicht ertragen, daß Roderic ihretwegen verwundet würde, nur weil er kam, wenn sie in Bedrängnis war. Sie würde insgeheim sterben, wenn das geschah. Sie würde dieses Opfer verhindern, gleichgültig, zu welchem Preis.
»Kommen Sie, wozu so viele Bedenken? Es sei denn, Sie haben in sich einen Widerwillen entdeckt, ihm das zuzufügen, was er Ihnen zugefügt hat.«
»Ich habe nur überlegt«, erklärte sie langsam, »daß Sie, falls Sie schnell und überlegt handeln, seine Exekution bewirken könnten.«
»Exekution?«
»Als Spion.«
»Wahrhaftig?« antwortete er, aber dies eine Wort kam so heftig, daß es eine ungeheure Genugtuung verriet.
»Natürlich hängt das von Ihren Interessen ab.«
»Meinen Interessen?«
»Ich nehme an, Sie wünschten in der Nacht des Attentats nicht, daß es verhindert würde?«
»Brillant«, knurrte er.
»Roderic sollte der Sündenbock sein -« Sie hielt inne, wartete auf eine Bestätigung, doch keine kam. Sie fuhr beherzt fort, da es zu spät war, innezuhalten, unterschlug aber einen Gedankengang, der im Augenblick nicht zweckmäßig erschien. »Daraus folgt, daß Sie kein Anhänger der Orleanisten sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Reformist sind, denn Sie waren nie in diesen Kreisen zu sehen. Somit bleiben nur noch die Bonapartisten und die Legitimisten übrig.«
»Ich gratuliere Ihnen, Mademoiselle, zu Ihrer Auffassungsgabe. Welchen, glauben Sie, bin ich ergeben?«
Sie schaute in ihr Weinglas und gab vor nachzudenken. »Jenen, die für Louis Napoleon Bonaparte einstehen, scheint vor allem der Ruhm Frankreichs am Herzen zu liegen, während jene, die den Bourbonenerben Henri, Comte de Chambord, unterstützen, vor allem nach persönlichem Gewinn streben. Ich glaube nicht, daß Sie Bonapartist sind.«
»Nehmen Sie sich in acht, Mademoiselle Mara«, sagte er, und seine dunklen Augen glitzerten kalt. »Mein
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