Zigeunerprinz
Mara geschleudert hatte, flog wirbelnd, singend, zielsicher quer durch den Raum. De Landes erblickte es und zog instinktiv die Pistole hoch. Seine Augen weiteten sich, und sein Mund öffnete sich zu einem Schrei.
Die Pistole ging mit dem donnernden Knall einer Kanone los. Schwarzer Rauch und eine gelbe Flamme schlugen aus der Mündung. Roderic riß de Landes die Pistole aus der Hand und zog ihn zurück. Der Franzose brach zusammen und blieb reglos liegen. Die zitternde Degenklinge ragte senkrecht aus seiner Brust.
Roderic wirbelte herum. Mara lag zusammengekrümmt auf dem Boden, und ein langsam größer werdender roter Fleck verfärbte ihr Kleid. Im gleichen Augenblick war er an ihrer Seite, stieß Trude und Michael weg, kniete nieder, um ihren Kopf in seinen Händen zu halten, die plötzlich so sanft waren wie die einer Mutter, die ihr Neugeborenes in den Schlaf wiegt.
Ihre Wimpern hoben sich flatternd. Sie sah das Gesicht des Mannes über sich, erkannte den Zorn wie blaues Feuer in seinen Augen brennen.
»Es tut mir leid«, sagte sie, und ihre Worte waren nicht mehr als ein winziges Geräusch im Raum, in dem es plötzlich totenstill war. »Es tut mir leid.«
19. Kapitel
Schmerzen. Graue Schmerzenswogen. Stimmen kamen näher, entfernten sich. Ein Reißen. Lichter gleißten, gleißten. Bewegung. Dunkelheit. Schmerzen kreisten, wurden stärker, stärker, explodierten. Ein warmer Griff auf ihrer Hand, ein Anker, ein Schutz. Dunkelheit. Kalt, so kalt.
Für Mara gab es Augenblicke, scharf wie eine Rasierklinge, die in ihrer Klarheit voll intensiver Farbe in der Erinnerung haften blieben. Roderic, der sie auf seine Arme nahm, so daß ihr Blut seinen weißen Uniformrock befleckte. Die unendliche Fürsorge, mit der er sie auf dem Bett ablegte. Seine glatte, kompromißlose Weigerung, das Zimmer zu verlassen, als ihr Kleid aufgeschnitten und ihr die übrigen Kleider ausgezogen wurden. Grandmere mit vom Weinen verzerrter Miene, die einen Rosenkranz betete. Angeline, die sich über das Bett beugte. Der geschäftige Doktor mit seinem schwarzen Rock, seinem Ziegenbart und dem scharfen, glänzenden Skalpell.
Zeit war ohne Bedeutung. Nacht und Tag waren eins, ein endloses Grau. Ein riesiges, immer wieder neu geschürtes Feuer brannte im Ofen; trotzdem war ihr kalt. Sie wußte, daß ihre Wunde entzündet war, konnte aber nicht die Kraft aufbringen, sich darüber zu sorgen. In einer Nacht oder vielleicht an einem Tag, sie wußte es nicht, war der Doktor gekommen, hatte ihre Stirn befühlt und ihr murmelnd in die Augen geblickt. Er hatte ihren Arm über ein Becken gehalten, dann sein Skalpell gezückt, während er mit seinem Daumen nach der Vene unter der dünnen Haut in ihrer Armbeuge tastete. Er fand sie und zog dann die Haut straff, um den Schnitt anzubringen.
Plötzlich war Roderic da, seine Finger sprangen vor, packten den Arm des Doktors so fest, daß der Mann in die Knie ging. Die Stimme des Prinzen klang rauh vor Müdigkeit und lang strapazierter Geduld. »Nichtsnutziger, närrischer Quacksalber! Ich habe Ihnen erklärt, daß sie keinen weiteren Blutverlust überlebt. Wenn Sie einen einzigen Tropfen ihres Lebenssaftes vergeuden, dann werde ich den Ihren sprudeln lassen wie aus einem alten Weinschlauch.«
»Ihr Fieber ist zu hoch. Ich übernehme keine Verantwortung, wenn sie nicht zur Ader gelassen wird.«
»Werden Sie für Ihr Leben garantieren, wenn sie es wird?«
»Was das betrifft, so liegt alles in Gottes Hand.«
»Ach, ich dachte, diese Rolle hätten Sie selbst übernommen.«
Der Doktor riß sich aus seinem Griff los und begann, seine Instrumente wieder in die Tasche zu werfen. »Dann tragen Sie eben die Verantwortung.«
Mit undurchdringlichem Blick antwortete Roderic: »Die habe ich schon immer getragen.«
Dann hatte das Gewicht vieler Decken auf ihr gelastet, und sie hatte heißen, in ein Handtuch gewickelten Stein gerochen. Sie war in Träume versunken, und nur manchmal hatte sie gehört, wie sie mit jenen sprach, die sie hochhoben und umdrehten und kühle Tücher auf ihre Stirn legten.
Dann folgte eine Nacht, in der ihr Körper in Flammen stand, ebenso wie ihr Geist und die Welt. Sie schien zu schweben wie ein Vogel, der an einem heißen Sommertag auf einem warmen Aufwind reitet, und doch war sie an den Boden gekettet, wurde sie von einer Hand gehalten.
Ihre Lider waren zu schwer, beinahe versiegelt; dennoch hob sie sie mit aller Anstrengung. Roderic saß neben dem Bett, hielt ihre Hand in festem
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