Zigeunerprinz
schrecklichen Ironie, aber sie konnte nicht darüber lachen.
»Sie irren sich«, war alles, was ihr einfiel.
»Lieber irre ich mich, als ein Leben lang zu bereuen.« Sie wollte protestieren, aber er hob die Stimme. »Chere wird euch beide begleiten. Sie geht ins Bett.«
Die Truppe langweilte sich. Sie hatten in der vergangenen Nacht, nach dem Besuch im Theater, zwei Cabriolets gemietet und sich Wettrennen über die Pont Neuf geliefert, bis die vier Damen des Abends, die ihre Passagiere waren, vor Entsetzen geschrien hatten. Sie hatten zwei französische Leibwachen aus dem Corps, das König Louis Philippe beschützte, zum Trinken herausgefordert und dabei alles erfahren, was die Leibwachen über die Gewohnheiten, Vorlieben und Absichten des französischen Königs wußten. Die Anwesenheit Julianas, die sie kannten, seit sie der Kinderstube entwachsen war, hatte die Stimmung eine Weile gehoben, aber da sie sich gleich nach dem Frühstück zu einem Einkaufsbummel aufgemacht hatte, hatte die Zerstreuung nicht angehalten.
Sie lagen auf dem Boden der langen Galerie, wo sie ihre Fallübungen gemacht hatten. Selbst die Akrobatik hatte ihren Reiz verloren, vor allem, weil sich Mara lachend geweigert hatte, noch länger in ihre Schule zu gehen, und erklärte, daß zuviel Arbeit auf sie warte. Sie hatte im Laufe des Vormittags ein Tablett mit Apfelkuchen und Kaffee hereinbringen lassen, als sie begann, am Kamin der Galerie ihre Näharbeiten zu verrichten, aber ansonsten fiel ihr nichts ein, womit sie die quälende Langeweile hätte mildern können.
»Was wir brauchen«, sagte Michael mit ernstem Gesicht, während er in die Flammen des großen Kamins starrte, den Kopf auf die Hände gestützt, »ist ein ordentlicher Krieg. Kein großer, nur ein kleiner mit ein oder zwei netten Scharmützeln.«
Estes seufzte. »Ja, und mit ein paar Dörfern zum Überfallen, möglichst voller hübscher Mädchen.«
»Oder wenigstens einigermaßen hübscher«, ergänzte Jared.
»Wenigstens keinen häßlichen«, stimmte ihm Jacques zu.
»Frauen. Keine Mädchen, sondern gelangweilte Frauen. Ich erinnere mich noch, als ich einst in den Niederlanden war-«
»Ähem«, räusperte sich Michael vielsagend. Estes warf einen schnellen Seitenblick auf Mara, zog den Kopf ein und ließ die Anekdote unvollendet.
»In Polen und Parma gibt es Aufstände, in Venedig und Wien Aufruhr, Proteste in Berlin, Mailand und Rom«, erklärte Trude mißmutig. »Warum müssen wir ausgerechnet in Paris sein, wenn es überall in Europa hübsche, kleine Revolutionen gibt?«
»In Paris!« stöhnten sie wie ein Mann, und der Seufzer klang nur halb ironisch.
»Ich habe mich schon besser amüsiert«, erklärte Estes nachdenklich, »als ich in einem Lazarett hinter einem viertklassigen Bordell in einem gottverlassenen kroatischen Kaff gelegen bin. Viertklassig? Ich bin keinesfalls sicher, daß man es so hoch einordnen kann. Die Frauen in diesem Haus waren so häßlich, daß sie ihre Unaussprechlichen über den Kopf zogen und ihre Kopftücher über ihren -«
»Ähem«, unterbrach ihn Michael wieder.
»Warum würfeln Sie nicht?« schlug Mara taktvoll vor.
»Niemand von uns besitzt etwas, das gewonnen oder verloren werden könnte«, sagte Jared.
Jacques rollte sich herum, so daß er zu Maras Füßen auf dem Bauch lag, und schaute zu ihr auf. »Natürlich könnten Sie einen Preis aussetzen, zum Beispiel einen Kuß ...«
»Brilliant, Brüderchen, brilliant!« rief Jared aus und richtete sich in plötzlich erwachtem Interesse auf einem Ellbogen auf.
»Tut mir leid«, erklärte Mara knapp. Sie verknotete das Ende ihres Garns und schnitt es ab.
Estes sagte: »Ich bin es so leid, Knöchel zu spielen und Michael dabei zu beobachten, wie er seine petits Soldaten über das Schachbrett schiebt, daß ich -«
Der Rest der Truppe räusperte sich.
»Höre ich Klagen?« fragte Roderic freundlich von der Tür aus, durch die er fast lautlos den Raum betreten hatte. »Wie ungerecht, falls jemand meinetwegen unter dumpfer Mattigkeit leiden sollte. Was braucht ihr, um euren Dienst bei mir wieder zu genießen?«
»Der Himmel sei uns gnädig«, flüsterte Estes, und es war ein wahres Stoßgebet.
»Jared, könnte ich dich damit behelligen, uns schnell die Degen zu bringen?«
»Heilige Mutter Gottes«, flüsterte Jacques, richtete sich auf und wischte sich die Handflächen an der Hose ab, während sein Bruder aufsprang, um Roderics Wunsch zu erfüllen. Die anderen tauschten vielsagende
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