Zigeunerprinz
und was er tun würde, wenn er zurückkehrte.
Als erstes unterhielt er sich hinter verschlossenen Türen mit seiner Schwester, und später floh Juliana bleich und schmallippig aus dem Raum. Sie entschuldigte sich aber bei Luca dafür, daß sie von ihm erwartet hatte, über eine so lange Zeit ihr einziger Beschützer zu sein. Als zweites ließ er in der Küche Bescheid geben, daß er zu zweit in seinen Gemächern zu Abend speisen würde. Als drittes schickte er nach Mara.
Ihr Herz begann zu klopfen, als sie seine Aufforderung in ihrem Schlafzimmer erreichte. War der Augenblick gekommen? Sie war froh, daß sie schon gebadet und ihr Haar zu einer neuen Frisur hochgesteckt hatte, aus der eine Lockenkaskade über ihren Rücken hinabfiel. Sie wünschte, sie hätte noch etwas anderes zu tragen, ein paar der entzückenden Kleider, die jetzt im Hause ihrer Cousine im Schrank hingen. Das Kleid, das sie trug, stand ihr gut, aber sie konnte ihn damit nicht überraschen, da sie der Prinz schon mehrere Male darin gesehen hatte.
Es hatte keinen Sinn zu klagen. Und keinen, die Ereignisse vorherahnen zu wollen, indem sie an die reizende, bestickte Unterwäsche dachte, die von den Nonnen in New Orleans für sie angefertigt worden war. Vielleicht wollte Roderic lediglich Gesellschaft beim Abendessen.
Die Speisen waren im Salon auf einem kleinen Tisch vor dem Kamin aufgetragen worden. Zwei Stühle standen einander gegenüber. Das Feuer tanzte in den Weingläsern und brach sich rotgolden auf dem Silber. Roderic wartete neben dem Tisch, mit auf dem Rücken gefalteten Händen und leicht gespreizten Beinen. Seine Uniformjacke war makellos, strahlend weiß und von türkisfarbenen Bändern überkreuzt, die mit goldenen Fäden eingesäumt waren. Sein Haar war feucht, fiel in einer glänzenden Locke in seine Stirn, als wäre er gerade aus dem Bad gestiegen. Mit nachdenklichem Blick sah er sie kommen.
»Ich habe Sarus gesagt, daß wir uns selbst bedienen«, erklärte er, während er einen Stuhl für sie zurückzog. »Stört Sie das?«
»Keineswegs.«
Sie schenkte ihm einen kurzen Blick. Plötzlich wurde ihr bewußt, wie allein sie hier in diesem Gebäudeflügel mit ihm war. Die anderen waren im Speisesalon und weit entfernt. Selbst wenn sie um Hilfe riefe, würde vielleicht niemand kommen. Sie bedeutete ihnen nichts, sie war eine Frau ohne Namen, während der Mann neben ihr ihr Prinz war. Ein eigenartiger Schauer lief über ihre Haut, und plötzlich erinnerte sie sich ungeheuer lebhaft daran, wie sie, in ein Badetuch gehüllt, in seinen Armen gelegen hatte. Sie fragte sich wieder, wie schon so oft, ob sie etwas von dem Zweiten Gesicht ihrer Mutter geerbt hatte, ob sie die Fähigkeit besaß, Gedanken zu lesen. Im Augenblick war ihr die Vorstellung unangenehm.
Roderic bemerkte das kurze verräterische Zittern und war zufrieden. Vielleicht war diese Frau nicht unschuldig und ohne Falsch, aber sie war auch nicht daran gewöhnt, mit einem Mann allein zu sein. Seinem ersten Impuls, den er in der vergangenen Nacht nur mit Mühe hatte unterdrücken können - sie gewaltsam in sein Bett zu zwingen und sie dort zu behalten, bis sie klipp und klar gestand, wer sie war und was sie wollte -, würde er nicht folgen müssen. Er war, vermutete er, eher auf seine Enttäuschung und auf seine glühende Begierde zurückzuführen gewesen als auf kluge Überlegung. Es gab andere, subtilere Methoden, dasselbe Ziel zu erreichen. Vielleicht nahmen sie mehr Zeit in Anspruch, aber er hatte es nicht eilig.
Mara. Marie Angeline Delacroix, auf Besuch in Frankreich und bei ihrer Cousine untergebracht. In freundschaftlichem Verkehr mit de Landes, einem ehrgeizigen Mann von nicht allzu fester Treue. Das, aber nicht viel mehr, hatte Lucas Bericht vom Vortag ergeben. Der Grund für die Verbindung war offensichtlich; es war bestimmt kein Zufall, daß Mara das Patenkind seiner Mutter war. De Landes wollte diese Verwandtschaft ausnutzen. Der Zweck dieser Scharade in seinem Haus, die sich aus dieser Verbindung entwickelt hatte, war nicht zu erkennen, ebensowenig wie der Grund, warum Mara sich dafür hergab. Beides würde sich in Kürze ändern.
Mara aß und trank, aber die Speisen, die sie sich in den Mund steckte, hätten ebensogut die widerwärtigen Kutteln sein können und der exzellente Wein ein bloßer vin ordinare. Sie wußte nicht, was sie mit dem Mann ihr gegenüber sprechen sollte. Er schien geistesabwesend, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und doch spürte
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