Zigeunerstern: Roman (German Edition)
kann nämlich tödlich sein. Ich jedenfalls glaubte, dass mich der Stoß töten müsse. Nie in meinem Leben hatte ich einen derart intensiven körperlichen Schmerz erlebt. Mir war, als hätte man mir eine Spitzhacke durch die Schädeldecke ins Gehirn getrieben. Mein Kopf drehte sich krampfhaft, wurde herumgerissen, bis er mir fast von den Schultern fiel, mein Herz hörte zu schlagen auf, die Füße gaben unter mir nach, ich sackte röchelnd und keuchend zu Boden und grub die Zähne in das schwammige Zeug, das ihn bedeckte.
Als ich das Bewusstsein wiedererlangte, schienen die Wände um mich herum zu kreisen. Die Decke der Schlafhöhle war verschwunden, die hunderte Kilometer Schwammgewebes darüber waren wie fortgeblasen … ich sah den freien Himmel, und er war völlig von leuchtendgelben Wirbelblitzen überzogen, die auf und nieder tanzten. Nach und nach konnte ich wieder deutlich sehen, und ich sah den Obermeister vor der gelben Lichtglut stehen. Er stand über mir und schien darauf zu warten, was ich als nächstes tun würde.
Es wäre nun das Vernünftigste gewesen, wenn ich mich so schnell wie möglich aus der Nähe dieses Kerls verzogen hätte. Wenn ich Vabrikant ganz und gar aus meinem Gedächtnis verbannt hätte und mich in irgendeine dunkle stille Ecke der Schlafhöhle geschleppt und dort verkrochen hätte, sofern mir natürlich überhaupt noch genug Kraft dazu übrig geblieben war, um dann dort meine Wunden zu lecken, sofern ich mich noch erinnern konnte, wo meine Zunge war. Denn sonst, falls ich noch weiteren Ärger bereiten sollte, würde der Obermeister mich noch einmal mit der Sensorpeitsche züchtigen, und dies würde mich höchstwahrscheinlich umbringen. Ich war jung, und ich war enorm kräftig, aber ich hatte soeben mit meinem gesamten Nervensystem einen enormen Energieschlag aushalten müssen. Ein zweiter Schlag von dieser Größenordnung, und ich war erledigt.
Das hätte jedem vernünftigen Menschen einleuchten müssen. Und vernünftig war ich ja. Jedenfalls die meiste Zeit.
Aber ich wusste auch, dass Vabrikant würde sterben müssen, wenn ich nichts dagegen unternahm. Ich wusste auch, dass ich wahrscheinlich sowieso über kurz oder lang selbst sterben musste, weil ich einen Obermeister im Zorn am Arm gepackt hatte, und damit war ich automatisch als extrem gefährlich abgestempelt. Sklaven hatten nicht das Recht, Obermeistern zu sagen, was sie zu tun hatten. Und sie durften sie schon gar nicht körperlich angreifen. Beim nächsten Versuch, aus der Reihe zu tanzen, würden mich die Obermeister kaltblütig ›erledigen‹.
Betäubt und ziemlich wackelig kam ich wieder auf die Beine. Ich bebte am ganzen Körper wie ein Mann mit Schüttellähmung. Die Arme hingen schlaff herunter, als wären sie ohne Knochen. Ich war wie ein Tausendjähriger. Der Obermeister schaute mir mit selbstgefälligem Grinsen zu. Er hatte die Sensorpeitsche schussbereit auf mich gerichtet, aber er war sicher, dass ich mich wie ein geprügelter Hund davonschleppen würde. Kein Mensch, der einen derartigen Schlag bekommen hat, kommt an und bettelt um mehr. So was sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Und als ich dann ein paar taumelnde Schritte in seine Richtung hin machte, interpretierte der Obermeister dies so, als hätte ich nur die Orientierung verloren. Natürlich wollte ich eigentlich in die andere Richtung, möglichst weit weg von ihm gehen (dachte er). Durch mein Hirn zuckten immer noch gelbe Blitzgeflechte, ich vermochte kaum klar zu sehen. Es verging eine kleine Weile, ehe der Obermeister begriff, dass ich eben leider nicht über den geringsten gesunden Menschenverstand mehr verfügte und mich anschickte, etwas sehr Törichtes zu tun – aber da war es für ihn schon zu spät. Er hob die Peitsche, er versuchte sie auf den tödlichen Schlag einzustellen, doch da tauchte ich glatt unter seinem Arm weg, und zwar mit viel schnellerer Motorik, als mir nach Lage der Dinge eigentlich zur Verfügung hätte stehen können, was uns alle beide sehr überraschte. Und ich nahm ihm die Sensorpeitsche ab – und dann sagte ich ihm, was ich jetzt mit ihm zu tun vorhätte – und dann stellte ich die Peitsche auf Minimalausstoß und ließ sie über ihn hinwegzucken.
Nein, ich beabsichtigte nicht, ihm umzubringen. Ich wollte nicht einmal, dass er das Bewusstsein verliere. Ich wollte nur das eine: ihm weh tun, ihm Schmerz zufügen, wieder und wieder, bis er vor mir im Dreck kroch, bis er jammerte und flehte und um Gnade
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