Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Unterschied. Hast du nicht gehört, wie er das gesagt hat? Du hängst doch schon die ganze Woche lang heimlich hier herum.«
»Ach, ich bin mal kurz abgezischt. Als er das gesagt hat, muss ich gerade in Babylon gewesen sein, um König Hammurabi zu erleben, wie der seinen Gesetzeskodex verkündete.«
»Na klar. Also, Sunteil hat ihn zu mir geschickt, weil er glaubt, ich habe nur zum Schein abgedankt und verfolge irgendwelche verdächtigen Ziele dabei, wenn ich mich hier auf Mulano verkrieche.«
»Und? Ist es nicht so?«
»Also hat er diesen Jungen losgeschickt, der mich bespitzeln sollte. Das sagt der Kleine jedenfalls.«
Polarcas Hülle knisterte und summte und hüpfte um ein paar Stellen im Spektrum nach der anderen Seite. »Einen Rom als Spion auf den König der Roma ansetzen? Nein, Yakoub, so dumm ist Sunteil ganz sicher nicht.«
»Das ist mir klar. Aber was hat er dann vor?«
»Du fehlst ihm, und er braucht dich, Yakoub. Und das ist eben seine Art, dich zu bitten, du mögest zurückkommen.«
»Sunteil – braucht mich?«
»Das Gleichgewicht im Reich ist gestört. Der Gaje-Kaiser braucht einen Roma-König, damit alles ruhig läuft, aber derzeit gibt es eben keinen König …«
»Ist das gesichertes Wissen, Polarca, oder quasselst du bloß so drauflos?«
»Na, rate mal!«
»Versuch bloß nicht, Ratespielchen mit mir zu spielen, du Affe! Das kann ich besser. Du bist sowieso schon im Vorteil, weil du ein Gespenst bist. Wie weit aus der Zukunft kommst du überhaupt?«
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir das sagen werde?«
»Du bist ein echter Mistkerl, Polarca!«
»Sagst du es denn, wenn du herumgeisterst?«
»Das ist etwas anderes. Ich bin der König. Von mir wird nicht verlangt, dass ich irgendwem irgendwas erkläre. Und wenn ich von irgendeinem meiner Untertanen eine Information erhalten will …«
» Untertanen? Ich bin keines Menschen Untertan. Ich bin ein Geist, Yakoub, ein Gespenst.«
»Schön, dann bist du eben das Gespenst eines meiner Untertanen.«
»Das spielt jetzt keine Rolle«, sagte er. »Du willst mir geheime Informationen abluchsen, die nur Privilegierten zugänglich sein dürfen.«
»Und ich berufe mich auf mein Privileg. Schließlich bin ich der König.«
»Das ist echte Scheiße, Yakoub. Du hast vor fünf Jahren auf den Thron verzichtet.«
»Polarca …« Mir lief allmählich die Galle über, ich wurde wütend.
»Und außerdem, kein Gespenst mit intaktem ethischen Korsett gibt jemals den Zeitpunkt preis, von dem aus es hergeistert. Nicht einmal seinem eigenen König gegenüber.«
»Auch dann nicht, wenn das Geschick, das Wohl und Wehe der Roma-Völker auf dem Spiel steht?«
»Wie kommst du nur auf die Idee, das könnte so sein?«
»Du versuchst, mich auf die Palme zu bringen«, sagte ich knirschend.
Er lachte. »Ich versuche, dich dazu zu bringen, Yakoub, dass du deine Zehen in die Startlöcher gräbst. Schau mal, sei doch einfach geduldig, und dann wird alles dir als richtig und sinnvoll klarwerden, willst du? Vertraue mir, denn ich sehe wunderbare Aussichten auf dich zukommen. Komm – lass es mich dir zeigen! Die Wahrheit liegt deutlich sichtbar in deiner Hand, wenn du nur Augen hast, sie zu erkennen. Und gegen eine kleine Gabe, nicht mehr als ein paar lächerliche Geldmünzen, wird der weise alte Zigeuner die geheimnisumwobenen Schleier der Zukunft beiseiteschieben und dir enthüllen …«
»Verzieh dich, aber verdammt rasch!«, befahl ich ihm.
Und er tat es im Nu. Ich saß da und starrte blinzelnd auf die Stelle, an der er sich befunden hatte. Etwa ein Dutzend einheimischer Mulano-Gespenster fühlten sich von dem schmalen Streifen negativer Energie angelockt, den Polarca zurückgelassen hatte, und drängten wild heran, um zu fressen. Sie schwebten wie eine schimmernde Mückenwolke in der kalten Luft vor mir. Und dann kehrte Polarca zurück und verscheuchte die toll wirbelnden Mulano-Geister aus seinem Interpolationsbereich.
»Wo warst du?«, fragte ich.
»Das geht dich nichts an.«
»Sprichst du so zu deinem König?«
»Du hast doch abgedankt«, erinnerte er mich noch einmal.
»Ich glaube, das Ganze macht dir Spaß.«
»Ich bin nur mal rasch für sechs Wochen nach Atlantis gezischt«, sagte er. »Da hatten sie grad die Weihe des Tempels der Delphine gefeiert, und über den ganzen Boulevard des Himmels waren knietief goldene Blütenblätter gestreut. Ich hatte den Eindruck, dass ich dort deine Dame Syluise in der Karosse eines der Großfürsten
Weitere Kostenlose Bücher