Zigeunerstern: Roman (German Edition)
ich auf der breiten Onyxplatte am Fuß des erhabenen Throns der Macht und blickte starr in das Gesicht des Herrschers über sämtliche Gaje-Welten hinauf?
Den Dreizehnten Kaiser hatte ich nie gesehen, jedenfalls nicht von Angesicht zu Angesicht. Denn damals war ich noch zu fern vom Zentrum der Macht. Er war der Kaiser meiner Kindheit und regierte noch bis weit in meine Mannesjahre hinein, denn er lebte einfach immer weiter und weiter. Aber seine Bilder hatte ich auf den Bildwänden eines Dutzends von Welten gesehen: der kleine müde wachsgesichtige Mann, wie er da hoch oben auf seinem Onyxpodest thronte. Wer hätte sich vorstellen können, dass er sich so lange ans Leben klammern werde? Mit dem Vierzehnten war das ganz anders, er war jung und steckte voller Tatendrang und bestieg den Thron mit der erklärten Absicht, die Spinnweben fortzufegen, die sich während der nicht endenwollenden Regierungszeit seines Vorgängers angesammelt hatten. In seiner Zeit machte ich meine ersten Besuche bei Hof. Er war ein zierlich gebauter Mann mit dunkler, fast zigeunerbrauner Haut und scharfen Goldaugen und einem stets zum Lächeln bereiten Gesicht, aber hinter diesem Lächeln verbarg sich die Kraft eines wahren Kaisers. Er stammte von Copperfield, genau wie schon fünf Kaiser vor ihm. Es wäre gelogen, wollte ich behaupten, ich hätte ihn gut gekannt, doch ich war ihm begegnet und hatte sogar zwei-, dreimal mit ihm gesprochen. Und auf einmal war er tot. Es gab Gerüchte, dass man ihn beseitigt habe, weil er zu rasch zu viele Reformen eingeleitet habe. Und so kam der Fünfzehnte auf den Thron, der Hirtenjunge aus Ensalada Verde, der in späteren Jahren zu meinem Freund und Arbeitspartner wurde, ein Mann voll Weisheit und Güte. Nun ja, auch er war jetzt dahin, aber mich gab es noch, und da stand ich am Fuß der Kristalltreppe und wartete auf den Mann, der sich ›Sechzehnter Kaiser‹ nannte, wartete auf den filzigen Knauser Periandros, den vierten Kaiser in meinem Leben. Sofern der da denn wirklich ein Kaiser war – und nicht bloß ein eitler Hochstapler.
Ich lauschte den Fanfaren. Doch, ja, sie erschallten. Aber nicht mit dem altvertrauten ohrenbetäubenden Schmettern, der Glorie, die die Himmel erzittern ließ. Es war mehr ein klägliches säuselndes Blöken. Auch wieder eine dieser kleinlichen Einsparungen der Periandros-Administration? Oder eben nur der Zeitgeschmack, der alles wie einen blassen, blutleeren Schatten seines früheren Wesens erscheinen ließ?
Und die Stimme aus den Millionen Lautsprechern. »Yakoub Nirano Rom, Rom baro, Rex Romaniorum!« Namen und Titel brachten sie korrekt, immerhin. Aber es klang kraftlos, ohne Überzeugung. Ich erinnere mich an einen Geistertrip zurück in die Tage des alten cäsarischen Roms auf der Erde (und unser Gaje-Imperium schmeichelt sich arroganterweise irgendwelcher Verbindungen zu jenem frühen Kaiserreich, und sei es nur in einigen der entlehnten Praktiken und Begriffe), und es waren die Tage kurz vor dem Untergang des Römischen Reiches, kurz bevor die Barbarenhorden gegen die Tore hämmerten. In der Regel weiß man es nicht, wenn und dass man in den letzten Tagen eines großen Weltreiches lebt; man nimmt nur wahr, dass die Dinge nicht mehr so gut sind, wie sie angeblich einmal waren. Die Erkenntnis der Endgültigkeit, des Endes stellt sich immer erst post factum ein, nach erfolgtem Ereignis, nämlich dann, wenn die Geschichtsschreiber auf den Plan treten und alles kleinhäckseln, um es »in die richtige Perspektive zu rücken«. Aber diese Menschen im Römischen Weltreich der letzten Tage wussten, dass nicht nur wieder einmal schlechte Zeiten gekommen waren, sondern das Ende ihrer Zeit, und das konnte man in ihren Augen lesen, in den aschgrauen Gesichtern, in der Gedrücktheit ihrer Schultern. Alles an ihnen verkündete laut, dass das Ende ihrer Welt sozusagen hinter der nächsten Ecke lauerte. Und so erschien es mir auch jetzt ein bisschen: In der Luft über der Reichshauptstadt hing der Geruch von Niedergang und Verfall. Die alte Ordnung trieb ihrem Ende zu, und Gott allein mochte wissen, was danach kommen würde; und so breitete sich sogar über die Posaunen und Lautsprecher dämpfend, wie eine Schimmelschicht, der Zweifel.
»Der Sechzehnte Kaiser des Groß-Imperiums lädt den Rex Romaniorum vor seinen Thron«, rief der Zeremonienmeister laut. Und wieder schritt ich diese Stufen hinauf. Langsam. Nicht mehr so viel Lust und Pep in meinem Gang wie bei den früheren
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