Zigeunerstern: Roman (German Edition)
sie dafür hatten. In einem Universum, in dem es ein Galgala gibt, ein Nabomba Zom, ein Xamur – warum mussten sie sich für den Mittelpunkt und die Zentralwelt des Imperiums ausgerechnet solch einen Planeten aussuchen?
Aber dann ist zu bedenken, dass Galgala, Xamur und Nabomba Zom für die Gaje nie zur Wahl gestanden haben, denn diese Welten gehören uns – mit dem Recht des Entdeckers.
Die Zentralwelt ist kein Schreckensort. Eine relativ kleine Welt, einer von sechs Planeten, die um eine fahle gelbgrüne Sonne kreisen, und das Klima dort ist mild, es gibt Flüsse und Bäche, Blumen und Bäume, eine Luft, die man ohne Adaptoren atmen kann, überhaupt ist alles ziemlich angenehm und friedlich. Die Ozeane allerdings sind flach, die Berge geduckte Stumpfkegel, und die Vögel sind grau und braun. Eine monochrome trübe Welt, eine nette sichere kleine Welt, schön geradlinig, ohne große Überraschungen. Vielleicht lieben die Gaje sie aus eben diesen Gründen so sehr. Aber bisher haben sie es nicht einmal fertiggebracht, ihr einen eigenen Namen zu geben.
Aber selbstverständlich haben sie sich eine absurde Phantasiestadt aus Marmor und Flammen erbaut, die Kaiserliche Hauptstadt, ein gewaltiges Unterfangen von meisterhafter Vulgarität, mit schimmernden Türmen und breiten Avenuen, blendenden Lichtern, überall Kristall, Smaragdgrün und weißer Alabaster (wie bei derlei zu erwarten). Na ja, was hätte man auch von den Gaje sonst schon erwarten können als Auffälligkeit, Theatralik und lächerlichen aberwitzigen Pomp. Doch dann hätten sie besser ihre Hauptstadt auf einem anderen Planeten als ausgerechnet dem ›Hauptplaneten‹ errichten sollen. Denn ebenso wie der Idradin-Krater vor den unvergleichlichen Schönheiten von Xamur als unangemessen erscheint, wirkt auch die Kaiserstadt auf dem Hauptplaneten bestürzend fehl am Platze. Sie sieht aus wie ein riesiger funkelnder Diamant in einem Diadem aus Pappdeckel.
Sei dem wie immer. Die Hauptstadt ist nun einmal der wichtige Mittelpunkt der Welt der Gaje, und ich bin bloß ein armseliger Zigeuner und habe von wahrer Pracht keine Ahnung. Vielleicht werde ich eines Tages die Hauptwelt besser zu würdigen wissen als heute. Aber das ist mir nicht wichtig, dass und ob ich den zentralen Drehpunkt der Gaje verstehe.
Bei aller Großartigkeit war die kaiserliche Machtzentrale von einer Atmosphäre der Unruhe und von einer seltsamen Behelfsmäßigkeit aller Funktionen erfüllt, als ich eintraf. Sie erweckte den Eindruck einer Stadt, die soeben dabei ist, sich von einem Krieg zu erholen – oder sich auf einen Krieg vorzubereiten. Die grün-roten Himmelspaniere zu Ehren des Fünfzehnten Kaisers waren alle abgeschaltet worden. Und bisher hatte man nur eine Handvoll neuer in den Farben des Sechzehnten aufgezogen, so dass der Himmel seltsam leer wirkte. Im Äußeren Stadtring, wo normalerweise unzählige Lichterzinken zu Ehren als Gäste anwesender Lords von anderen Welten blinken, war alles finster. Es war das erste Mal, dass ich die Metropole so erlebte.
Die Dunkelheit war mir ein Rätsel. Wieso – waren denn keine anderen Lords zu Gast hier? Und wenn ja, warum erhoben sie keine Einwände dagegen, dass man ihnen ihre Zinken vorenthielt? Aber vielleicht hielten sich alle kaiserlichen Vasallen der Hauptstadt fern, bis sie völlig sicher sein durften, dass Periandros tatsächlich der Kaiser sei, dessen Vasallen sie waren. Trotzdem, ich war Kaiserlicher Vasall, und ich war hier. Aber wo war mein Lichtzinken? Ich vermisste ihn. Vielleicht war ich ja als einziger hergekommen. Vielleicht hatte Periandros allen übrigen befohlen, sich fernzuhalten. War es denkbar, dass der Sechzehnte das Gefühl hatte, noch nicht so recht fest auf dem Thron zu sitzen, und es darum vermeiden wollte, die Planeten-Lords durch das Ansinnen, ihm zu huldigen, unnötig zu provozieren? Ich weiß, dass ich nicht so gehandelt hätte. Ich würde – wenn ich an Periandros' Stelle gewesen wäre – jede nur erdenkliche Schau von Macht und legaler Autorität demonstrieren. Aber – Dank sei dem Heiligen Gott und der Göttlichen Mutter und der heiligen Sara-la-Kali – ich steckte nicht in Periandros' Schuhen, sondern in meinen eigenen.
»Wieso habe ich keine Zinken?«, fragte ich Julien, kurz nachdem ich mich in dem opulenten Gästepalast an der Plaza der Drei Nebulae eingerichtet hatte, den das Imperium dem zu Besuch weilenden Zigeunerkönig zur Verfügung stellt.
»Es gibt ein Problem mit den Zinken«,
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