Zigeunerstern: Roman (German Edition)
taumelnd … einige dünne grobe weiße Haarsträhnen auf dem sonst kahlen Schädel.
Die Gestalt da symbolisierte den völligen Schiffbruch, das totale entsetzliche Ende von Zeit und Leben: den Menschen am Ende seiner Duldungstoleranz, seiner Leidensfähigkeit, an einem Punkt angelangt, wo auch kein Remake mehr greifen würde, wo nichts mehr nutzen würde. Es war absolut überzeugend. Und trotzdem musste es ›phony‹ sein, ein Trick. Ich hatte Sunteil seit etwa acht, zehn Jahren nicht mehr gesehen, doch es war einfach ausgeschlossen, dass er in so kurzer Zeit dermaßen gealtert sein sollte. Als ich ihn kennenlernte, stand er in seiner frühen Mannesblüte – so etwa um die sechzig, also höchstens siebzig Jahre alt.
Eines allerdings hatte sich nicht verändert: seine Augen. In dieser schrecklichen Runzelmaske von Gesicht sah ich in den Augen noch immer dunkel die alte gescheite Bosheit funkeln. Und diese Augen – das waren Sunteils eigene Augen, glitzernd, boshaft, mit einem diabolischen Funkeln, aber seine Augen, unverkennbar.
»Nuuun, Yakoub«, quäkte er mit quetschiger, greisenhafter Fistelstimme. »Also bin ich immerhin der Älteste geworden, haha, weil ich dich überrundet habe!« Er tapste schwankend auf mich zu und umklammerte mit einer Krallenknochenhand eisern mein Handgelenk. » Sarishan, Bruder!«, sagte er und keuchte ein wildes bronchiales Gelächter aus den Lungen.
» Sarishan! Schlimme Zeiten, was, seltsame Zeiten, was, Yakoub?«
Mir gefiel es gar nicht, dass er mich auf Romansch grüßte. Oder dass er mich »Bruder« nannte. Mein Bruder war Sunteil nicht!
»Du siehst grandios aus, Sunteil. Das muss ja eine schöne Sause gewesen sein in der letzten Nacht.«
»Ach, ist es nicht wunderbar? Ein Sofort-Revertiertes Remake, die brillante Altersprogression.« Er sprach inzwischen wieder mit seiner normalen tiefen und kräftigen Stimme. »Hast du gewusst, dass es teurer ist, 'ne Altersprogression zu kriegen, als den ganz normalen gewöhnlichen Scheiß? Dabei sollte man doch annehmen, dass dafür wirklich kein allzu großer Bedarf besteht. Aber – es hat sich gelohnt. Sogar in derart irren Zeiten, wie wir sie jetzt haben.«
»Ich werde daran denken«, sagte ich. »Vielleicht bekomme ich endlich eine Chance – und alle lassen mich in Ruhe, wenn ich erst mal so alt aussehe wie du jetzt.«
»Du? Ach nö, du wirst nie so aussehen. Sag mir eins, Yakoub, hast du jemals ein Remake durchführen lassen? Denn man sagt, dass das da vor mir noch immer dein wirkliches Gesicht ist, dein echter Körper, dass du eben ein Geheimmittel kennst, wie man nicht altert. Ist das wahr? Sag es mir. Sag es mir!«
»Wir Roma werden niemals alt, Sunteil. Wir leben nämlich ewig.«
»Aber, dann musst du mir dieses Geheimnis beibringen.«
»Zu spät«, sagte ich. »Du hast dir die falschen Ahnen ausgesucht. Für dich gibt es leider kein Heilmittel: Du bist als ein Gajo geboren, und du wirst als ein Gajo sterben müssen.«
»Du bist ein harter Mann.«
»Nein. Ich bin freundlich und eher ein sanfter Mensch. Das Universum ist hart, Sunteil.« Inzwischen merkte ich, wie mir das ganze Geplänkel mehr und mehr auf den Nerv ging. Also schaute ich ihm scharf ins Gesicht und sagte: »Dein Besuch überrascht mich etwas. Ich hatte gehört, du hast dich irgendwo im Untergrund, außerhalb der Stadt, versteckt. Warum bist du das Risiko eingegangen und heute Nacht zu mir gekommen? Was willst du von mir, Sunteil?«
»Verhandeln«, sagte er.
»Du bist auf der Flucht. Ich bin ein König. Verhandlungen sollten aber doch wohl am besten zwischen Gleichgestellten erfolgen.«
»Also, wenn du König bist, Yakoub, dann bin ich immerhin noch Kaiser.«
»Ich bin König, o ja, und daran besteht kein Zweifel«, sagte ich scharf. »Der einzige andere, der Anspruch auf den Thron erhob, ist tot, und meine Leute erkennen mich als Oberhaupt an. Doch in diesem Augenblick ist Naria Kaiser, sofern überhaupt jemand Kaiser ist.«
»Ist er das? Gewiss, Naria sitzt im Palast. Die betrunkenen Soldaten in den Straßen riefen ihn grölend als Kaiser aus, gewiss. Doch wird man nicht zum Kaiser der Galaxis, indem man in einem Palast hockt und wüste Plünderung und Aufruhr anzettelt. Werden sich die anderen Welten des Imperiums davon beeindrucken lassen, was ein übler Haufen von Soldaten in den Straßen der Capitale anrichtet? Das einzige, was sie wollen, ist, dass es Thronstreitigkeiten gibt. Und Naria ist rechtswidrig an der Macht.«
»Aber er ist eben an
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