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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Sunteil mir abkaufen kann, ist meine Zeit. Meine Seele war niemals käuflich.« Wir hatten zuvor imperialisch gesprochen, doch diese letzten Sätze sagte er plötzlich auf Romansch. Natürlich. Wenn ein Rom es nötig findet, die absolute Wahrheit zu sagen, dann redet er in der Sprache seines Volkes.
    Er mochte ja ein echter Rom sein, bis hin zur Beherrschung der Heiligen Sprache. Doch Chorian war unter den Gaje aufgewachsen, und seine Erziehung wies gewaltige Lücken auf. Niemand hatte ihn je die alten Lieder gelehrt oder die alten Tänze; er hatte keine, nicht die geringste Ahnung von Zauberei und Beschwörungen; er wusste nicht, wie man geistwandert. Ja, schlimmer noch, seit er ein kleiner Knabe war, hatte er nicht mehr Gelegenheit gehabt, sich in die Swatura zu versenken, die Chroniken unserer Rasse, und der Verlauf unserer Geschichte wurde in seinem Kopf immer verschwommener.
    Selbstverständlich waren ihm die Geschehnisse der letzten tausend Jahre vertraut, wie die Königsherrschaft entstanden war, wie sie sich auf die bekannte seltsame Weise mit dem Imperium arrangiert hatte. Allein schon Chorians Pflichten am Kaiserhof mussten ja dazu führen, dass er sich mit diesem Geschichtsabschnitt vertraut machte. Doch davon abgesehen hatte er von der übrigen Geschichte nur äußerst blasse umrisshafte Vorstellungen, bruchstückhafte Wissensfetzchen hier und dort: einiges über die Frühzeit unter dem Stern der Roma, über unseren Aufbruch in die Große Finsternis, die Wanderschaft im Weltraum und unsere Ankunft auf der Erde. Er besaß einige Kenntnis von der Größe des Romansch-Atlantis und von der Katastrophe, durch die es zerstört wurde. Er wusste einiges über die schrecklichen Jahre unseres Lebens, die wir als verhasste Ausgestoßene unter den Gaje der Erde verbringen mussten. Doch nichts davon war für ihn von tieferer Bedeutung. Es blieb alles wolkig-verschwommen, eben abstrakte bloße Geschichte, ein trüb-undurchschaubares Gewirr praktisch bedeutungsloser uralter Wanderungen und Verfolgungen, die unendlich weit zurück und unendlich weit entfernt geschehen waren. Die Geschichte ganz anderer Menschen, genaugenommen. Er fühlte einfach nicht, dass irgend etwas davon mit ihm zu tun habe, dass es ihm persönlich geschehen sei. Und doch ist das so; und selbstverständlich war es ihm passiert. Alles, was jemals einem Rom widerfuhr, widerfuhr allen Roma. Denn wenn du nicht eins bist und im Einklang mit deiner Geschichte, dann hast du keine Geschichte; und wenn du keine Geschichte hast, bist du ein Nichts. {3}
    In den wenigen Tagen, in denen er mein Gast war, versuchte ich dem Jungen zu helfen. Kurz vor dem Ende des Doppeltags nahm ich ihn mit hinaus auf die glitzernden Eisfelder und zeigte ihm, wo er den Zigeunerstern am Firmament finden könne. »Dort«, sagte ich. »Dort ist er, der große rote Stern. O Tchalai, der Stern der Wunder. O Netchaphoro, die Lichterkrone, der Lichtträger, die Lichterglorie Gottes. Siehst du ihn? Dort oben? Siehst du ihn, Chorian?«
    »Wie könnte ich ihn nicht sehen, Yakoub?«
    Und er sank vor unserem Stern nieder und kniete vor ihm auf dem Eis.
    »Sechzehn Lichtradien fließen von ihm«, erläuterte ich dem Jungen. »Ein Strahl für jeden der ursprünglichen sechzehn Stämme unseres Volkes. Das kannst du auch auf der Fahne des Königreichs sehen: ein Stern mit sechzehn Zacken. Und dieser Stern besitzt nur einen einzigen Planeten, Chorian, aber er ist die wundervollste Welt in all den Abermilliarden von Galaxien.«
    »Warst du jemals dort, Yakoub?«
    »Ich war dort, in meinen Träumen.«
    »Aber du hast es nie mit deinen eignen Augen gesehen?«
    »Wie wäre es möglich? Es ist geheiligter Boden. Und es ist einem jeden von uns strikt verboten, ihn zu betreten … das wäre das allerfurchtbarste Sakrileg. Seit zehntausend Jahren hat kein Rom diesen Planeten betreten.«
    Es bereitete ihm Schwierigkeiten, das zu begreifen. Wieso sprangen wir nicht einfach in unsere Schiffe, wieso zoomten wir nicht los und nahmen uns unsere uralt-angestammte Welt einfach zurück? Das müsste doch ganz einfach sein. Wer oder was könnte uns daran hindern? Wir können doch überall hingehen, wohin wir wollen, oder? Ach, die Jugend ist so ungestüm. Und es mangelt ihr wirklich an Verständnis für das Wesen des Nichtoffenkundigen in der Welt, für die verborgenen Fesseln, die uns binden und verstricken. Ich erklärte Chorian, es gehe dabei um die Erfüllung unserer Langzeit-Bestimmung, um einen Schicksalsplan,

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