Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
tragen, damit sie einander sofort auf den ersten Blick erkennen und gebührend Abstand voneinander wahren können. Und mein geheiligtes Amulett, ein kleines flaches Medaillon aus einem silbrigen Metall, mit irgendwelchen komplizierten funkelnden Mustern in einer dunkler blitzenden Substanz darauf, das ich unter dem Halstuch zum Schutz vor irgendwelchen nicht näher erläuterten Gefährdungen für meine Seele zu tragen hatte. Das Amulett enthielt ferner einen Recorder, der so empfindlich war, dass er jedes in einem Umkreis von fünf Meter gesprochene Wort aufzeichnen konnte; allerdings fand Lanista es nicht nötig, mich davon in Kenntnis zu setzen.
    »So, jetzt bist du mit allem ausgerüstet, Yakoub«, sagte er. Vor dem Logenhaus wartete ein Wagen, der alle Bettelkinder zur Frühschicht in die Stadt fahren sollte. Sacht stieß mich Lanista auf das Fahrzeug zu. Ich drehte mich um, und er gab mir ein geheimes Roma-Zeichen und kniff ein Auge zu. »Geh«, sagte er. »Mong, chavo, mong!«
     
     
    5
     
    Die kleine Stadt war scheußlich hässlich. Sie bestand nur aus Wellblechschuppen, die vom blauroten Dreck der ungepflasterten Straßen bespritzt waren. Während sechs von zehn Stunden fiel unablässig leichter Nieselregen, und die Luft war dermaßen gesättigt von Schimmel und Moder, dass sie grünlich aussah. Weißes pelziges Zeug keimte mit jedem Atemzug, den du machtest, in deinen Lungen.
    Aber die Bettelstrecke war gut. Die Minenarbeiter kehrten von der Schicht zurück und hoben von ihrem Lohnkonto Geld für eine schnelle Sause ab, und sie glaubten, dass es Unglück bringe, wenn man Geld zu lange in der Tasche behält. Zum großen Teil gaben sie es für Glücksspiele, beim Saufen, für Drogen oder für die Huren aus, wie Männer in solchen Städten und Umständen dies seit Urzeiten getan haben. Aber es war nicht einer unter ihnen, der nicht eine Handvoll Oboloi in die Schale eines kleinen Bettlerjungen gestopft hätte, und wenn du das Glück hattest und trafst einen, der gerade in Hochstimmung war, dann gab der dir mit großmütiger Geste fünfzig Minims, oder gar eine Tetradrachme, oder manchmal sogar ein Cerce-Stück oder zwei, was er eben gerade im Beutel hatte. Es summierte sich jedenfalls.
    Ich war zwar wahrscheinlich der jüngste und süßeste, höchstwahrscheinlich auch der gewitzteste Betteljunge, aber ich war auch gänzlich unerfahren in dem Geschäft und deshalb wohl ganz unschuldig. Dafür zahlte ich anfangs bitteres Lehrgeld. Man musste nämlich ein bestimmtes Territorium haben, das man abklappern durfte, und natürlich hatten sich die altgedienten Betteljungen der Gilde bereits die lukrativsten Strichs untereinander aufgeteilt. Und die anderen Jungs, die auf dem Transport mit mir angekommen waren, die waren allesamt zwischen zwei und fünf Jahre älter als ich und schnappten sich natürlich sofort die besten der noch übrigen Territorien. Mir blieb weiter nichts übrig, als mich in den Außenbezirken der Stadt herumzutreiben, und an glücklichen Tagen brachte ich ganze fünf Oboloi zusammen.
    Und das war schlimm. Denn man gewährte uns einen bestimmten Prozentualanteil von unserer Beute als Rateninvestment für unseren späteren eventuellen Freikauf, und wenn das bei mir in diesem Kleckerrahmen weiterging, würde ich noch mit einhundert Jahren ein Sklave der Gilde sein müssen. Und das wollte ich natürlich nicht – und die Gilde wollte das im Übrigen ebenfalls nicht: für sie waren Bettler, die älter als etwa zwölf Jahre waren, totes Kapital, weil völlig unproduktiv, also wollten sie, dass wir uns unsere Freilassungsurkunden kaufen konnten und dann verschwanden, sobald wir eben nicht mehr ertragseffiziente Arbeitskräfte waren. Die begabtesten Ex-Bettler, sozusagen unsere Alumni, wurden allerdings oft aufgefordert, als ›Freisassen‹ innerhalb der übergeordneten Hierarchie mit neuen Verträgen weiterzuarbeiten.
    Sobald mir klar geworden war, wie das ganze Spiel da so lief, fand ich für mich eine freie Ökonische, um die sich die anderen Bettelbuben bisher nicht gekümmert hatten, wohl weil sie sie nicht bemerkt hatten. Statt die Bergleute anzuhauen, beglückte ich die Prostituierten mit meiner Bettelei.
    Die Gilde der Sexualhelfer arbeitete nach dem gleichen Modell des Freikaufs wie unsere Bettlergilde, nur laufen bei ihnen die Lehr-Ausbeutungsverträge über einen Minimalzeitraum von zehn Jahren, und darum spürten diese Vertragssklaven wohl nicht den gleichen Druck wie wir: ranschaffen und

Weitere Kostenlose Bücher