Zigeunerstern: Roman (German Edition)
umgab.
Eine kleine Ahnung von Geistereien hatte ich schon. Da war immerhin diese alte Geisterfrau aus meiner frühesten Knabenzeit; aber ich hatte mit keinem Menschen je über sie gesprochen. Und als ich etwas älter war, erfuhr ich von meinem Vater ein paar Dinge über Geister, der sich solch große Mühe gegeben hatte, mich auf alles vorzubereiten, was im Erwachsenenleben auf mich zukommen würde, so dass ich nun die nicht falsche Schlussfolgerung ziehen konnte, dass Geister und Gespenster wahrscheinlich so etwas ähnliches seien wie jene uralte Frau. Nun hatte sie mich zwar sicherlich fünf-, sechsmal besucht, als ich noch sehr klein war, doch seit meiner Abreise aus Vietorion hatte ich sie nie wieder gesehen, auch niemanden, der so wie sie gewesen wäre. Darum war es ein bisschen schockierend, als auf einmal, Jahre später in Megalo Kastro die Geister sich wieder bei mir einzustellen begannen.
»Das ist etwas, was nur wir Roma tun können«, hatte mein Vater mir gesagt. »Und nicht einmal jeder Rom kann es; denn man braucht Übung dazu, und man braucht Willenskraft. Und vor allem musst du von Anfang an die Kraft dazu schon in dir haben. Die Fähigkeit, deinen Körper zurückzulassen, dich abzuheben und durch Zeiten und Räume davonzuwandern …«
Den ersten Geist, der sich mir zeigte, hielt ich für meinen Vater. Er schwebte neben mir: groß mit kräftigem Körper, brennende Augen, einem schwarzen Schnurrbart, irgendwie durchscheinend, und gleichzeitig doch fest an Gestalt. Eine Aura umfloss ihn. Sein Lachen war wundersam: wie der rollende Donner, der von den Dunstplateaus Darma Barmas herabrollt, wo den ganzen Tag über gewaltige Blitze wetterleuchten. Die Stubenkameraden Anxur und Focale waren bei mir, aber der Geist zeigte sich ihnen nicht. Und sie hörten auch nicht sein prachtvolles Lachen.
Er sah aus wie mein Vater, aber etwas stimmte nicht ganz. Etwas in dem Gesicht passte nicht richtig. Natürlich. Denn das Gespenst war nicht mein Vater – sondern ich selbst. Nur sagte der Geist es mir damals nicht. Er grinste nur, berührte mich an der Schulter und sprach: »Aha, da bist du also, Yakoub. Wie groß du wirst, wie kräftig! Gut machst du es! Bleib so, mein Junge. Alles läuft richtig!«
Dieser Geist fand sich etwa drei-, viermal im Jahr ein, aber nie sagte er eigentlich mehr als das. Manchmal sah ich noch zwei weitere Gespenster: einen jugendlichen Mann und eine sehr schöne Frau, aber sie sagten nie etwas zu mir, sondern starrten mich nur immer an, als wäre ich irgendwie eine sonderbare Missgeburt. Ich hatte keine Ahnung, wer sie sein könnten, und es dauerte auch ziemlich lange, bis ich es herausfand. Dennoch waren mir ihre sehr unregelmäßigen Besuche willkommen. Wenn ich sie in meiner Nähe wusste, überkam mich stets ein Gefühl der Sicherheit und Wärme. In meiner Vorstellung wurden meine Gespenster so etwas wie meine persönlichen Schutzengel. Irgendwie waren sie vermutlich genau das.
Es lief ziemlich glatt während dieser ersten paar Jahre auf Megalo Kastro. Ich wuchs rasch und wurde ein schlaues Kerlchen. Ich sparte Geld für meine Freiheit. Unbestimmt malte ich mir aus, wie ich mir, sobald ich erst zehn war, meine Freilassung kaufen würde, stolzgeschwellt als Freimann nach Vietoris zurückkehren und an der Seite meines Vaters in der Sternenschiffwert arbeiten würde.
Doch dann veränderte sich alles mehr und mehr, sehr rasch und sehr zum Üblen.
Zunächst gab es Ablösungen in den Obersten Rängen der Logenbruderschaft. Dies war anscheinend bewährte Politik der Firma, um zu verhindern, dass jemand sich eine zu große persönliche Machtbasis aufbaute. Der General-Präzeptor wurde auf eine andere Welt versetzt, und an seiner Stelle kam ein Neuling von einem der Haj-Qaldun-Planeten; dann wurde der Prokularius abgelöst, und kurz darauf bekamen wir auch noch einen Erzabt. Der letzte aus dem ursprünglichen Führungsstab, der verschwand, war Lanista, der Logenmeister, der einzige Zigeuner in unserer Logenhierarchie und mein ganz besonderer Verbündeter; und sobald er fort war, fühlte ich mich urplötzlich ganz scheußlich allein. Insbesondere weil die neuen Hierarchen sich sofort daran machten und uns eine Reihe ganz erstaunlich drakonischer neuer Verordnungen auferlegten.
Es ist mir nie zur Kenntnis gelangt, ob sie ihre ›Reformen‹ auf Befehl des Gildenoberkommandos einführten, die Ausgaben für die einzelnen Logen zu senken, oder einfach weil es sich bei diesen Leuten um Personen
Weitere Kostenlose Bücher